Freitag, 26. Februar 2010

querbeet

Unterschied zwischen Max Goldt im Berliner Ensemble und Max Goldt im Bielefelder Theater am Alten Markt?

Das berliner Publikum bringt mehr Gelöstheit mit. Wenn das Lachen einmal begonnen hat, sitzt man inmitten eines gelösten, munteren Theaters. In Ostwestfalen wird auch bei gehobener Kunst mehr nach innen gelacht.

Wo ist eher kein Unterschied: Hier wie dort ist das Publikum sehr gemischt, von tuntigen Männerpärchen über Rastalocken bis hin zur Theaterverkleidung ist alles dabei. 

Außerdem: Auch mehrfach gehörte (vom lesen ganz zu schweigen!) Texte können in der Wiederholung besser werden.

Das BE: von draußen unspektakulär, innen überrascht es immer wieder mit den neobarocken Schnörkeln und Vergoldungen.

Was gibt es sonst noch: In bereits zwei Wochen gibt es einen dekadenten princesses-of-the-baltic-sea-Kurzurlaub im DZ deluxe mit Meerblick direkt an der Strandpromenade von Ahlbeck. Hehe.

Montag, 22. Februar 2010

q.e.d.

Und dann lese ich das alles, und denke nach, und verbringe den Rest des Abends mit Nippes...

Warum ist das so?

War das schon immer so, aber die Schlauen habens früher aufgeschrieben, und die andern nicht?

Es ist Zufall, aber

nachdem ich gestern abend/nacht noch die Maxie Wander auslesen mußte (ich wußte ja, wies ausgeht, aber trotzdem!), habe ich heute Verzichten auf von Matthias Kalle angefangen, ein Mann, der mir aus unerfindlichen Gründen schon seit längerem sympathisch ist (sonst hätte ich das Buch ja nicht gekauft!). Und finde aus westdeutscher Sicht aufgeschrieben, was ich beim Lesen der österreichisch-ostdeutschen Epitheta dachte. Daß man zum Beispiel nicht mehr miteinander spricht, bloß redet. In dem Tagebuchband finden sich mehr kluge und tiefe Gedanken als in allen Ergüssen der Fräuleinwunder und Generationenausrufer zusammen (und sie sind locker 30 Jahre älter), und ich frage mich dann: Wo ist der Unterschied? Bin ich diejenige, die sprachlos ist? Sind es die anderen? Wir alle? Kenne ich einfach die falschen Leute, und zwar ganz banal deshalb, weil ich selber nicht besser bin? Maxie Wander schrieb Brief um Brief; manchmal an Freunde, die gerade eben fortgegangen waren, manchmal an Freunde, die sie nur sehr selten sah. Telephon war rar und teuer; wenn man sich spüren wollte, mußte man schreiben. Aber es gab ja andererseits Ramba-Zamba im Hause Wander in Kleinmachnow; ein Kommen und Gehen von nahen und fernen Freunden, der erwachsenen Kinder, die ihrerseits ihre Freunde mitbrachten und blieben. Und trommelten. Kein Tag (glaubt man den Aufzeichnungen), an dem nicht jemand klopfte, und alle waren immer willkommen. Da heißt es schon was, täglich das Papier vollzuschreiben! Und Maxie Wander berichtet nicht vom Kartoffelschälen. Sie hört Schallplatten und macht sich Gedanken. Ernsthafte Gedanken. An nicht einer einzigen Stelle findet sich ein Hinweis auf begehrenswerte Schuhe (gut, das Tagebuch ist von ihrem Mann herausgegeben.) oder prestigeträchtige Reiseziele oder exquisites Essen. [Konfident, ich glaube, du mußt dieses Buch mal lesen!] Die zentrale Fragen Maxie Wanders lauten: Wie soll man leben? Wo ist Heimat? Wo gehöre ich hin, und wenn ja, warum? Eine ihrer Antworten, sehr explizit: Schreiben. Eine andere: Eine gute Mutter sein - was auch immer das bedeuten mag (und spätestens nach dem Tod ihrer Tochter ist sie sicher, daß sie's nicht ist). Auch: Das Leben als Geschenk sehen und als Aufgabe. Niemals einfach dahindämmern und vor sich hin leben, nicht den Quatsch im Fernsehen für bare Münze nehmen, das Zusammensein mit Freunden genießen, so es genießenswert ist, und ansonsten meiden. Und Rücksicht nehmen, ohne sich selbst zu sehr zurückzunehmen.

Was Matthias Kalle schafft: er kommt von ganz woanders (Ostwestfalen, haha), und er meint etwas anderes. Die ganz zentralen Fragen stellt er auch nicht mehr, aber immerhin stellt er in einem noch zarten Alter (das Buch ist ca. 8 Jahre alt, und Kalle ist ca. 3 Jahre älter als ich) fest, daß Angehörige unserer Generation völlig sinnentleerte Gespräche führen. Welche Attribute für aktuelles Coolsein notwendig seien (heute fällt einem als erstes das umfangreiche Angebot eines Apple-Ladens ein, damals waren es die richtigen Turnschuhe), was man am vergangenen Wochenende wieder brav im Feuilleton auswendiggelernt habe (Fräuleinwunder, Popliteratur) oder welche aufregenden Clubtüren man nach stundenlangem Outfit-Feilsching und banalem Anstehen (was der brave DDR-Bürger tat, wenn er mal Obst essen wollte) habe bezwingen können. Das ist natürlich keine Substanz, nichts, was einen trägt, in guten wie in schlechten Zeiten. Es ist eher der berliner Schneemann am Dom, dessen massive Eiskugeln unter den Sonnenstrahlen zerbrechen, weil der Wind plötzlich warm und nicht kalt weht. (Das hat natürlich nicht Matthias Kalle geschrieben; der Schmonz ist von mir selber.)

Und dann, unabhängig von Absatz 1 (Maxie Wander) und Absatz 2 (Matthias Kalle), stehe ich heute, wie fast jeden Tag, im Kaisers und denke, mann, Sophia, du warst aber auch schon mal konsequenter! Bei Lidl geh ich nicht einkaufen, weil die schlimme Sachen mit den Mitarbeitern machen (und die etwas überraschende Mindestlohnforderung sollte wohl auch nur verdecken, daß kürzlich eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen am Harzer Käse starb), und wenn ich Kaffee kaufe, achte ich auf die Trias Bio, fair, Geschmack. Ich kaufe viele Bioprodukte, auch wenn es Massenprodukte von Handelsmarken sind, weil ich glaube, daß allein schon das geringere Ausbringen von Düngung und die Gentechnikfreiheit für nachhaltiges Bodenbewirtschaften vonnöten sind. Zumindest theoretisch weiß ich ganz gut bescheid. Aber ach, die Praxis! Ich fliege zwar nicht gerne, aber ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die es fertiggebracht hat, noch nicht so häufig geflogen zu sein wie ich (die Umstände!). Ich mag keine Autos (sehr ernsthaft!), aber wenn partnerschaftlich ein Auto nebst Herumfahrer vorhanden ist, lasse ich mich gerne herumkutschieren, und das nennt man dann Synergieeffekt, weil immerhin zwei Leute und nicht bloß einer im Auto sitzen. Ich kaufe meine Möbel bei Ikea, und meine Anziehsachen kommen nicht nur von *Pieps*, sondern ich arbeite da sogar und stütze das Schweinesystem auf diese Weise doppelt! Kaisers, welcher eine ganz infame, rechtliche Kampagne gegen eine gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiterin führt, welche auf dermaßen wackeligen Füßen steht (rein argumentativ), daß es schon Wunder nimmt, daß die Gerichte dem bislang nicht Einhalt geboten haben, aber Kaisers ist hier der einzige Supermarkt (ja, Edeka, EINE Straßenbahnhaltestelle weiter, und ist der wirklich besser?), und ich bin einfach zu faul, anderen Einkauf zu organisieren! Zu faul, und eingefallen ist es mir auch nicht, obwohl mich die Pfandbonmisere doch sehr aufgeregt hat. Aber da wohnte ich ja noch nicht im Einzugsgebiet eines Kaisers.

Und genau das meinen Maxie Wander und Matthias Kalle. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Das ist leicht dahingesagt, aber schwer gelebt. Früher, Maxie Wander, wenn den ganzen Tag die Haustür nicht stillsteht und alle naselang auf dem heimischen Chaiselonge diskutiert wird, woraus dieses richtige Leben eigentlich besteht und ob es ein gleichzeitiges Recht auf Glück überhaupt beinhaltet, da mußte man ja ständig darüber nachdenken! Heute, Matthias Kalle, wird das nicht mehr diskutiert, es ist in einflußreichen Magazinen abgedruckt und mithin nicht mehr Bestandteil einer Debatte, die aber eh keiner führt.

Ich kenne das selber von Reaktionen auf einige meiner Verhaltensweisen. Ob ich mit Mitfahrzentrale von Berlin nach Bielefeld fahren würde, wo die Bahn doch so teuer wäre. Nö, sage ich da, ich fahre nicht so gerne Auto, und es sei nicht viel teurer und normalerweise (Winter und andere unvorhersehbare Katastrophen ausgenommen) wesentlich schneller als mit dem Auto. Nö, sage ich, Kartoffelchips und anderes Krams wie Nüsse schmecken mir nicht; nö, fernsehen finde ich im besten Falle einfach langweilig. Gefühlte 85% des Angebots eines Supermarkts sind nicht für mich gemacht, und je unkaufhallenartiger ein Supermarkt daherkommt, desto mehr. Leider bin ich dabei kein wirklich guter Mensch geworden. Ich spende fast nie was, weil man dafür das Onlinebanking bewegen müßte (und dran denken auch noch!), aber ich nerve auch den (neuerdings) verhaßten Kaisers-Supermarkt nicht, daß die an ihrem Pfandautomaten die geniale Erfindung anbringen, daß man den Bonwert spenden könne (bin ja eh bald weg; vielleicht ist die vielgelobte und -geforderte Mobilität, daß man quasi immer auf gepackten Koffern sitzt, nicht nur Ursache für ausbleibende Familienplanung, sondern auch dafür, daß sich kein Mensch mehr lokal in irgendwelchen Geschichten engangiert - das ist ja auch nur in Strukturen sinnvoll, die man selbst als stabil begreift. Umgekehrt sind Engagierer, die auf Teufel-komm-raus stadtteilmäßig engagieren und nächste Woche nach Bochum oder Regensburg "machen", in entsprechenden Stadtteilinitiativen auch nur so semi-gern gesehen). Ich habe schon Getränke aus Dosen zu mir genommen (wenn auch in den letzten zehn Jahren noch seltener als davor), ich aß Cheeseburger bei McDonalds, ich flog nicht nur nach Kreta, sondern, viel schlimmer, von Berlin nach Kraków und zurück. Ich kaufe Kaffee in Pappbechern mit Plastedeckeln.

Schlimm, schlimm, schlimm! Ich frage mich nicht ernsthaft, wie ich leben soll, mit Ausnahme meines zukünftigen Berufes. (Ich schreibe leider keine langen und schönen Briefe an meine Freunde.) Und dabei halte ich mich schon für eine von diesen, die nachdenken und die bessere Welt wollen und wissen, daß es dafür nicht immer nur um die eigene Bequemlichkeit und Befindlichkeit gehen kann. Aber ich habe es auch nicht geschafft, den sektiererischen Zirkeln von Vegetariern, Autonomen oder Feministen zu folgen, vielleicht, weil ich auch dafür zu faul bin, oder weil mir die Antworten zu leicht vorkommen.

Die Frage ist doch: warum sucht man nicht nach den Fragen mit den schweren Antworten?

[Und ja, Konfident, es wird Zeit für mich, Frau B. ernsthaft zu lesen!]

Sonntag, 21. Februar 2010

Tauwetter

Tagsüber jedenfalls. Nachts bricht man sich die Haxen, weil das Streugut unter den Sonnenstrahlen in die Schmelzlachen sinkt und dann beim Überfrieren fehlt.

Lese Maxie Wander, wieder, nach vielleicht fünfzehn Jahren. Oder zehn - und staune! Das Frauenbuch hab ich immer wieder verschlungen, und immer wieder neu. Aber die Tagebücher und Briefe? Das hat nicht mehr gelockt. Und nun doch, weil neulich auf dem Flohmarkt für einen Öre erstanden (und der "Briefroman" von Yalom/Elkin so psychoanalytisch-öd ist, immer nur Masturbation und sexuelle Übertragung, bäh!), und gleich schreibe ich wie sie, zerhackt und doch einer Linie folgend. Wienerisch singt es mir im Ohr, und ich glaube, ich möchte einmal nach Kleinmachnow fahren und ihr Grab besuchen (wie rührend, daß Fred Wander, der Jahre nach ihrem Tod mit einer neuen Frau die DDR wieder verließ und vor vier Jahren in Wien gestorben ist, in Kleinmachnow begraben ist!), und das Haus würde ich gerne sehen! Wo die 95 Menschen (sie hat sie nachgezählt!) ein und aus gingen, und dann hatte sie den Haushalt am Hacken und wollte doch lieber schreiben oder Platten hören. Ein unbeugsames linkes Herz, das mit der DDR so viel aushalten mußte, was nicht paßte zu dem Anspruch, ein Arbeiterparadies zu sein. Und sich mit ehrgeizigen Lehrerinnen und müden, resignierten Bürgern stritt. Und an die institutionalisierte Schlamperei ihr Kind verlor und schließlich selbst starb, vielleicht, weil das Land lange sehr menschenfeindlich mit seinen Bürgern umging.

Ich genieße Berlin und die Arbeit, ich kann es nicht anders sagen. Und dann, wenn der Frühling kommt, geht es in den Teutoburger Wald zurück? In die Bibliothek? Das ist unvermeidlich, wenn ich wiederkommen will - als Psychologin mit Abschluß und dem festen Willen, etwas anständiges zu beginnen. Neuropsychologie zum Beispiel.

Ich muß hochanonymisiert Patienten beschreiben, sonst entgleiten sie mir. Manche sind sehr alt und sehr fit, manche sind mittelalt und habens schwer. Fast alle sind sehr nett; der Kittel tut ein übriges. Nach fünf Minuten ahnt man, was der Patient kann und was nicht. Zu einer sehr alten Dame sagte ich nach zwei Minuten, daß wir die Untersuchung sehr gerne durchführen, aber ich könne ihr bereits jetzt sagen, daß sie nicht dement sei. Was stimmte. Sie war nach der Rente vom Land nach Hannover gezogen, um Philosophie zu studieren. Seit drei Jahren lebt sie in Berlin. Wenn sie einen Tag nicht rauskann, gehts ihr schlecht. Sie geht in die Philharmonie zu Konzerten. Manche schickt das Bundeswehrkrankenhaus, und wir können deren Überweisungsdiagnose "dementielles Syndrom" auch nur bestätigen - für 400 Öre, so erklärt sich der Verteidigungsetat. Neulich hatte ich einen, der war Facharbeiter für Filmvorführtechnik, und ich frage ihn, in welchem Kino er dann gearbeitet hätte, da war er im Ministerium des Inneren gewesen, "oder schreiben Sie gleich MfS, das macht auch keinen Unterschied". Nach der Wende hat er 17 Jahre Nachtschicht im Photogroßlabor malocht, froh über jede Arbeit. Jetzt kriegt er nicht mal mehr Hartz IV, weil die Frau verdient. Ein anderer war da, der hat Staat und Recht studiert gehabt, ein Fernstudium bei der NVA. Nach der Wende konnte er sich mit dem Diplom den Hintern abwischen. Jetzt ist er in der Behindertenbetreuung, mit seit Jahren befristeten und verlängerten Verträgen. Kriecht einem kalt den Rücken hoch, wenn man sieht, wie dieses Land mit seinen Bürgern umgeht, und das sage ich nicht, weil ich das zufällig bei den beiden Menschen mit Stasihintergund gedacht hätte. Die Patienten aus dem Osten sind alle, aus dem Westen sogar auch einige gebeutelt worden, und nur eigene Tatkraft und Anpackerei bewahrte die meisten vor der Resignation. Sich regen bringt Segen, heißt es, und ergänzend würde ich sagen, und schützt vielleicht ein bißchen vor den Wirren des Alters. Nicht die Feuerwehr anzurufen, wenn man aufwacht und infolge Beinlähmung nicht aufstehen kann, ist dagegen dämlich. Ein unbehandelter Schlaganfall hat Folgen.

Maxie Wander zitiert ihren Mann Fred:

Laßt uns arbeiten, aber auch faul sein. Laßt uns Kraftwerke bauen, aber auch Luftschlösser. Ohne Luftschlösser keine Kraftwerke!

Samstag, 20. Februar 2010

1-2-3-4

Give me more loving than I’ve ever had
Make me feel better when I’m feeling sad
Tell me I’m special even though I know I’m not
Make me feel good when I hurt so bad
Barely getting mad
I’m so glad I found you
I love being around you
You make it easy
Its as easy as 1-2-1-2-3-4
There’s only one thing
To Do
Three words
For you
(I love you) I love you
There’s only one way to say
Those three words
That’s what I’ll do
(I love you) I love you
Give me more loving from the very start
Piece me back together when I fall apart
Tell me things you never even tell your closest friends
Make me feel good when I hurt so bad
You’re the best that I’ve had
And I’m so glad I found you
I love being around you
You make it easy
It’s easy as 1-2-1-2-3-4
There’s only one thing
To Do
Three words
For you
(I love you) I love you
There’s only one way to say
Those three words
That’s what I’ll do
(I love you) I love you
(I love you) I love you
You make it easy
It’s easy as 1 2 1 2 3 4
There’s only one thing
To Do
Three words
For you
(I love you) I love you
There’s only one way to say
Those three words
That’s what I’ll do
(I love you) I love you
(I love you) I love you
1-2-3-4
I love you
(I love you) I love you

Dienstag, 16. Februar 2010

So. Es ist offensichtlich nur noch unter großen Mühen und körperlichen Schmerzen möglich, einfach mal ein paar Photos zu zeigen. Es ist eben nicht immer so, daß Neuerungen automatisch auch besser sind. 

Das ist also der Hof, auf den ich aus meinem Fenster heraus blicken könnte, wenn ich's täte. Da da aber immer nur sehr wenig los ist, mach ich das nie. Allenfalls variiert die Höhe des Schneebatzens auf dem Tisch. 


Was ich früher nie für möglich gehalten hätte: Die Rey-Osterrieth Complex Figure, ganz ohne Probleme ganz aus dem Kopf gemalt. 


Das ist der Blick aus dem Büro bei Sonnenuntergang. Das ist nicht der allerschlechteste Büroausblick. (Links oben im Bild der Reichstag mit wehenden Fahnen.) Auf Station ist es freilich noch besser, die ist nämlich noch 7 Ebenen höher. Und wenn das Zimmer nach Osten geht, hat man den Fernsehturm und alles. (Hab mich während der Chefvisite allerdings nicht so recht getraut, mit dem Telephon zu hantieren.) 

 

 Der Palast der Republik wurde ja dem Erdboden gleichgemacht, um Platz für Aktionen wie folgende zu machen. Ist natürlich auch wichtig, im Kampf gegen die globale Erwärmung Schneemänner zu bauen. Nee, ist klar.


Aber süß sindse schon. 



Also, ich war heute auf Chefvisite, und das ist nicht nur wegen der ausgeprägten Grimassenneigung des Chefs ein Erlebnis. Fünf hochgewachsene Männer und einige kleinere Frauen, von denen die Vollpsychologinnen hohe Schuhe angezogen haben, stehen auf dem Flur herum und beflüstern Patienten. Und wir sind ja die Charité, also wird wirklich ausgeschlossen, was der Patient so haben könnte. Es soll sich wirklich keiner beschweren, die Ärzte würden sich nicht um ihn kümmern! Allenfalls, wenn er ein sehr langweiliger, weil total eindeutiger Fall ist. Und selbst dann sind alle hellhörig, weil es eindeutige Fälle eigentlich nicht gibt. 

Die Schneebatzen haben sich inzwischen ins Straßenbild eingeprägt. Jeder Berliner mit Führerschein kann problemlos auf ihnen parken. Wer jetzt noch hohe Schuhe trägt, der lernt nicht mehr laufen. Jeden Tag rieseln ganz kleine, ganz wenige und doch sehr beharrliche Schneeflöckchen zu Boden und verkünden: Neinnein, nicht vorbei, immer noch Winter, ich komme wieder und bringe meine Familie mit! Und freu dich ja nicht aufs Tauwetter, denn wer dann noch keine Gummistiefel hat, der kauft sie sich, während es zum ersten Spreehochwasser seit Beginn der Aufzeichnungen kommt. Vielleicht verkehrt der Shuttle zwischen Charité-Mitte und Virchow-Klinikum tatsächlich per Boot auf dem Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal. Nobel wäre es ja.

Montag, 8. Februar 2010

Aus der relativen Ferne betrachtet ist das schon wieder fast liebevoll:

Das Lieblingsnachbarblog, präzis wie immer in den Worten, und im Detail aufschlußreich nahezu anerkennend: Bielefeld, der Sehnsuchtsort all derer, die an allzuviel Umtrieb leiden. Und es existiert nicht, aber es ist überall!

Helfen - ganz einfach

Papa klemmte mit dem Auto auf dem Eis. Wir anderen waren ja eigentlich schon zu dritt. Bloß beim ersten Jaulen der einzeln und eigentlich unclever von der Elektronik abgebremsten Vorderräder blieben schon zwei Damen stehen und fragten, ob sie beim Anschieben helfen sollten. Und schon wurde der Papa von drei Damen übers Eis und aus der Parklücke hinausgeschoben. Alles richtig gemacht!

***

Heute abend komme ich von der Straßenbahn und höre nämliches Geräusch. Bloß ist das Auto so alt, daß mit Sicherheit keine elektronische Abbremshilfe ihre störenden Finger im Spiel hat. Die Räder drehen einfach so durch. Der Autofahrer ein Handwerker. Trotzdem biete ich, die sozialen Lerntheoretiker haben eben vielleicht doch recht, meine Hilfe an, woraufhin der eher muskelbepackte Handwerker ein bißchen guckt. Aber in der Bizetstraße ist auch nicht so viel los, da nimmt man, was man kriegt, und siehe da, es gelingt. (Wahrscheinlich reicht es meist aus, daß einer im Auto sitzen kann, während draußen einer das zurückrollen verhindert, und das kann man auch durch einfaches dagegenstemmen. Schwierig ist es derzeit höchstens, mit den Füßen Grip zu finden.)

***
Also einfach spontan Hilfe anbieten. So funktioniert es hier derzeit.

Kann aber ooch anstrengen:

Bereits ein Kinderwagen versperrt halbe Straßenbahn, aber man sagt ja nix. Bekommen eh schon zu wenig Kinder, die alle. Nich die in meinem Bekanntenkreis, aber sonst alle. Der nächste Kinderwagen entert die Niedrigflurbahn und verstopft hoffnungslos den letzten Ausweg im mittleren Drittel. Die dazugehörige Mutter entschließt sich, das apathische Kind aus dem einzwängenden Gefährt heraus- und sich selbst auf den Schoß zu hieven, nachdem sie Platz auf einem ungefähr 15m entfernten Sitzplatz genommen hat. Da sie bei der Prozedur einen Bekannten trifft, dessen nichtanwesende Tochter "inzwischen" auch schon dreieinhalb geworden ist, fällt ihr zu spät ( nach insgesamt höchstens zwei Stationen) auf, daß sie mit dem immer noch apathisch seinem Schneeanzug ergebenen Kind aussteigen muß, und produziert dabei ein hübsches Verwirrungsknäuel an der Tür. Da fragt man sich schon, ob das jetzt sein mußte!

Sonntag, 7. Februar 2010

Was passiert

Einmal vorweg: Wir haben ja immer vor allem möglichen Angst, wenn es um unsere Gesundheit geht, meist vor Krebs, Demenz und vielleicht noch Schweinegrippe, wenn sie gerade IN ist. Aber nach einem Monat mit neurologischen Patienten habe ich vor ganz anderen Sachen Angst. Schlaganfall zum Beispiel. Oder NMDA-Rezeptor-Antikörper-Enzephalitis. Oder Leukenzephalopathie, hatte ich jetzt schon einige Patienten. Oder spinocerebelläre Ataxie, ist erblich und sowas von unheilbar, und es gibt je nach Genort ca. 17 verschiedene Sorten davon.

Was mich an der Neurologie so fasziniert, ist eben die Entdeckung des gesunden funktionierens anhand der Störungsbilder, die durch lokalisierbare Läsionen oder Entzündungen entstehen. Manchmal, bei Gesichtsfelddefekten z.B., ist das fast Eins-zu-eins ablesbar. Oder bei den verschiedenen Gedächtnisaufgaben, da sind manche mit Zahlen, manche mit Worten, und bei manchen muß man zeichnen. Da gibt es wirklich alle Kombinationsmöglichkeiten an Fähigkeiten, und hinterher sitzt man da und versucht zu begreifen, warum einer sechs Zahlen rückwärts wieder hersagen kann, aber schon beim Abzeichnen einer komplexen Figur völlig seine Grenzen austesten muß.

Ich gehe also gerne in diese Patientenkontakte. Ich habe einen weißen Kittel an und murmele meinen Namen und "Neuropsychologie", und für die nächsten neunzig Minuten bin ich Halbgöttin. Erwachsene, gestandene Männer sprechen mir Zahlenfolgen nach und hören sich fünfmal die Folge "Trommel, Vorhang, Glocke..." mit einem Ernst an, als sei ich die Hörspielprinzessin. Sie erzählen meist viel, und ich lasse sie auch meist gewähren, weil die Zeit da ist. Es ist auch - entgegen allem, was wir zu recht in Diagnostik lernen - sehr aufschlußreich, was ich mir aus diesen informellen Informationen als klinischen Eindruck zusammenstelle. Nicht aufschlußreicher als die Tests, und ich kann an den Tests immer wieder genau sehen, wo der Patient seine Stärken und Schwächen hat. Aber 80% der Diagnose kann man nach fünf Minuten Gespräch stellen, und 80% dieser Diagnosen sind richtig. Bei den 20%, die einem nach fünf Minuten nicht klar sind, weiß man es nach der Untersuchung immer noch nicht, und 20% der gefühlten, klinischen Diagnostik muß eben nach den Tests korrigiert werden.

Heutzutage gibt es ja immer viele wunderbare Tests auf alles mögliche, und darüber kann man auch jede Menge lernen. Morbus Huntington, manche erinnern sich aus dem Biologieunterricht, den anderen ist der entsprechende Wikipedia-Eintrag verlinkt, ist autosomal dominant vererbt. Somit haben es die eigenen Kinder mit jeweils 50%. Leider wußte man früher erst, wenn der eigene Elternteil betroffen war, daß mans haben könnte, und dann waren die Kinder schon da (early onset vielleicht mit 40, da hatten die eigenen Kinder schon Kinder). Heutzutage kann man eine relativ zuverlässige genetische Untersuchung machen lassen, und ich hatte jetzt schon einen selber und von zwei weiteren gehört, die ebendiese Untersuchung (bei positiver Familienanamnese!) verweigert haben. Ein schönes Beispiel dafür, daß die Verfügbarkeit von Antworten nicht immer bedeutet, daß die Menschen die Frage auch stellen wollen. Denn was würde der Patient, den ich neulich untersucht habe, mit der Antwort machen? Eigentlich auch nichts anderes, als er ohne Genetik auch tun müßte (aber nicht macht). Er müßte seine halb erwachsenen Kinder aufklären, bevor diese blauäugig wiederum Kinder bekommen. Er müßte sich selber mit der Erkrankung, die er wahrscheinlich in einer milderen und hoffnungsvollen Ausprägung hat, auseinandersetzen. Immerhin ist es in Deutschland so, daß dieser genetische Test zwingend an eine psychotherapeutische Begleitung gekoppelt ist. Denn was ist das Ergebnis weniger als ein deutliches, qualvolles Todesurteil?!

Also: entzündet euch nicht nur nicht euer Kleinhirn, sondern möglichst auch nicht eure NMDA-Rezeptoren. Schlaganfall ist ebenfalls schlecht. Und nehmt euch ernst - neulich hatte ich einen Patienten, der offenbar vor langer Zeit mal einen Schlaganfall hatte, infolgedessen er zunächst gelähmt war. Was macht er? Liegt zwei Tage im Bett, weil er gelähmt ist. Als er wieder bißchen laufen kann, geht er zum Arzt, der ihn natürlich ins Krankenhaus schickt, und zwar samt Reha für ein Vierteljahr. Das war einfach nur suboptimal, und heute weiß man nicht mehr, obs daran oder an seiner Herz-OP oder sonstwas gelegen hat, daß er sich heute keine drei Wörter mehr merken kann.

Berlin ist gerade die größe anzunehmende Herausforderung für die Körperselbstwahrnehmung, das Gleichgewichtssystem und das Kleinhirn als Instanz für Korrekturen aller Art. Es besteht der gesamt Untergrund nicht aus den gewohnten Granitsteinen, sondern nahezu ausschließlich aus mehreren Lagen Schnee, die in unterschiedlichen Stadien von auftauen und wieder frieren befindlich schlußendlich zusammengefroren sind und nun einen uneinheitlich-buckeligen, glatten und kreuzgefährlichen Überzug bilden, der einen 5-10 Zentimeter höher als gewohnt durch die Stadt trägt. Oder besser schlittert.