Mittwoch, 30. September 2009

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Das ist eine Auftragsarbeit, und ich versuche, sie so schön wie möglich zu erledigen!

Es ist 17:30, und wir verlassen das oranienburger Anwesen. Somit ist uns eine halbe Stunde Show Royale vergönnt, inklusive einer neuen Folge Zwiegespräche mit Gott und dem beliebten Abschlußlied Der Zug fährt in den Bahnhof ein oder so ähnlich. Dann kommt Volker Wieprecht höchstpersönlich als Kontakt zum Hofberichterstatter Andreas Ulrich ins Wahlspiel, und die ersten Prognosen fliegen uns mathematisch genau um die Ohren, besonders beeindruckt war ich davon, daß A.U. nur ein einziges Mal bei Verlusten oder Gewinnen von Prozenten statt Prozentpunkten sprach. Das kann ja mal passieren.

Nach dieser ersten Prognose sage ich: Und nun mache ich die CD wieder an, das Restgesülze kann ich nicht hören.

Was ist eigentlich passiert? Die Kanzlerinnenpartei nutzt den Kanzlerinnenbonus gerade mal zum Klassenerhalt. Die mittelkleine Schwester in der Regierungskoalition steckt übel ein. Der gelbblaue Beliebigkeitsparolenspender ("Bildung ist ein Bürgerrecht" - peinlich genug, wenn jemand der Meinung ist, das extra auf Plakate drucken zu müssen, aber ist das ein Grund, die FDP zu wählen?) legt um knapp die Hälfte zu. Vereinigungen und Umbenennungen machen Parteien wählbar. Und ein ernsthaft mit Argumenten geführter Wahlkampf kann sich ebenfalls in Stimmenzuwachs auszahlen, wenn auch nicht so erfolgreich wie die Forderung "Arbeitsplätze statt Hartz IV". Was sich (mit Implikationen für meine Gedanken über dieses Land, das nun seit 20 Jahren mein Heimatland ist, die man sich gar nicht ausmalen kann - dazu vielleicht später unten mehr) nicht ausgezahlt hat, waren Parolen wie "Heimreise statt Einreise" und "Besser leben ohne Multikulti", geschmückt mit entsprechenden Bildern - trotz der vielbeschworenen Krise und offensichtlich ganz anders als in den 20er Jahren konnten die rechten Parteien bloß Ohrfeigen abholen, und zwar mit der flachen Hand direkt ins Gesicht. Und, last, but overhead not least, sackte eine sehr junge, sehr innovative und in Brisanz hoffentlich wichtiger werdende Partei aus dem Stand die Hälfte der für die 5-Prozent-Hürde erforderlichen Stimmen ein, das ist ebenfalls sehr beachtenswert und geht derzeit etwas unter.

Nun aber schön der Reihe nach. Was heißt das alles?

Als erstes war ich natürlich schockiert. Die zentrale Frage des 27. Septembers lautete ja: Warum um alles in der Welt wählen Personen, die mit der derzeitigen Regierungspolitik unzufrieden sind, die verdammte FDP? Das bleibt völlig unklar. In der derzeitigen Krise sind doch viele Menschen mit all den Bankern unzufrieden, die einen überhaupt in den Mist geritten haben, ferne mit den Ärzten, die sich von Pharmaindustrie und Krankenkassen das Hinterteil vergolden lassen, ferner mit Gutverdienern, die über ihre hohe Steuerlast ächzen, wenn sie nicht gerade in Zürich das "andere" Konto versorgen müssen. 14 Prozent, soviele Gut- und Besserverdienende gibt es doch in diesem Land gar nicht! Und einige von denen wählen auch noch grün! And how have we the salad: ein Außenminister, der - bis aufs Geschlecht - ist wie ich: mit seinesgleichen zusammen, und das Englisch holperig.

Über die CDU breiten wir den Mantel des Schweigens. Es gibt nur zwei wichtige Verlierer bei dieser Wahl, und sie ist einer davon (und die CSU vernachlässige ich als alte geübte Preußin vollständig, die hat aber auch verloren!). Nicht mehr Stimmen zu haben ist ja, für die Partei mit dem grundgesetzlich nicht ganz korrekten "Wir wählen die Kanzlerin"-Plakat, auch ein deutlicher Verlust; eine Bestätigung ist es jedenfalls nicht gerade. Seid froh, daß alle die neuen Vorsitzenden der SPD handeln und Videos mit G.W., englischsprechenderweise, verlinken. Das lenkt von euch ab.

SPD, ach, was soll ich sagen? Der kleine Bruder in einer großen Koalition... da würd ich auch nicht mit tauschen wollen. Vielleicht hat der Wähler am Ende den Überblick verloren, was an der Regierungspolitik eigentlich christ- und was sozialdemokratisch war, vielleicht hatten auch manche an der Urne Kurt Tucholsky im Sinn: "Sach ma, sare ick zu den eenen, der neben mir saß, warum wählst du eigentlich SPD? Ick dachte der Mann kippt mir vom Stuhl. Komisch, nu wähl ick schon 22 Jahre diese Partei, aber warum ick det mache, habick mir noch nicht übalegt. [...] det hat sich allet so scheen einjeschaukelt... wat brauchste Jrundsätze, wennde een Apparat hast... Det is so een beruhijendes Jefühl: Man tut wat for de Revolution, und weeß janz jenau, mit diese Partei kommtse janz bestimmt nich!" Im Ergebnis nicht mehr als sozialdemokratisch ablexbar, was auch immer das jemals bedeutet haben mag, und mit der Verantwortung für inzwischen mehr als zehn Jahre kleineleutefeindliche Politik, ohne nennenswerte Vorteile oder Entwicklungen hervorgebracht zu haben - da muß man sich eigentlich nicht wundern.

Die LINKE, die sich mithilfe Lafontaines und eines unzufriedenen linken (Gewerkschafts-)flügels in der SPD endlich aus ihrer 20jährigen Ostverhaftung lösen konnte, ist für mich der wahre Wahlsieger. In den Reihen der anderen Parteien tummeln sich doch auch ausreichend Vollpfosten, die für die ein oder andere Fehlentscheidung niemals geradestehen mußten. Daß man ausgerechnet der SED-Nachfolgepartei dafür immer wieder rügt, ohne den eigenen Keller zu kehren, sieht eben nach Siegerjustiz aus - und aus genau diesem Grund wurde die PDS Wahl für Wahl im Osten mit reichlich Stimmen bedacht. Daß Verteufelung und Verfolgung zumindest nicht dazu beigetragen haben, daß die Partei an Bedeutung verlor, liegt heute auf der Hand, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, das Vorreiterland in Sachen PDS-Mitregierung, und in Berlin, wo man leicht ablesen kann, wie sehr Regierungsverantwortung ein Parteiprogramm in den Schatten stellen kann. Von "Kommunismus", von Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien und Banken ist man dort weit entfernt, aber die Regierungsbeteiligung der PDS hat dort echte Demokratie möglich gemacht, indem sich nämlich ein großer, maßgeblich im Osten de rStadt wohnender Teil der Bevölkerung auch in der Landesregierung wiederfinden konnte. Was daran falsch sein sollte, habe ich ohnehin nie verstanden. Umso besser, daß diese Partei mit diesem Wahlergebnis wieder mehr Erwachsenheit wird beweisen müssen.

Ich habe auch schon mal grün gewählt, aber meine Partei ist es nie geworden. Ausgerechnet in diesem Jahr fand ich sie dann erst doof (Europawahl), dann cool (Kommunalwahlkampf) und jetzt immer noch sympathisch, und ich freue mich ehrlich für ihr schönes Wahlergebnis. Sie schien mir die einzige Partei zu sein, die Wert auf ein seriöses Wahlprogramm legte, und daß sie damit offensichtlich erfolgreich war, verringert meine gewöhnliche Skepsis gegenüber der angenommenen Cleverness des Wählers schlechthin.

Die Nazis sind sowas von nicht drin, und das trotz verhältnismäßig aggressiver Plakatierung mit schlimmen Parolen und Bildern. Ich bin so, so, so froh, daß eine Krise nicht mehr automatisch zu einem Rechtsruck führt, sondern die Leute sinnvolleres mit ihrer Stimme anfingen, als blöde Protestwählerstimmen abzugeben. Vielleicht nehmen die Wähler die Krise auch ernst und machen das Kreuzchen nicht aus Frust beim Provokateur, also, mich hat das sehr erleichtert.

Piraten - super! Herzlichen Glückwunsch! Wenn euch mangelnde Performance vorgeworfen wird, dann entgegnet, daß die Grünen früher auch nur gegen Atomkraftwerke und Waldsterben waren und komische Pullover trugen. Daß ihr kein tragfähiges Regierungsprogramm habt, sei euch nicht nur deswegen verziehen, weil die anderen alle auch keines haben, sondern weil das auch gar nicht euer Anliegen ist. Im Moment jedenfalls. Es ist gut, daß es euch gibt, und ich persönlich finde es sehr gut, daß ihr so heißt, wie ihr heißt, auch wenn ihr euch vor Somalia langsam mal etwas zurücknehmen könntet ;-).

Habe ich jemanden vergessen? Jedenfalls hier die Zusammenfassung:

Ich finde es gut, in einem Land zu leben, das von einer Kanzlerin und einem schlecht englischsprechenden homosexuellen Außenminister regiert werden wird. So habe ich auch noch Hoffnung.

Ich habe Angst, daß nun der ganze Atomausstieg zunichte gemacht wird, weiter blöde Autos gebaut und deren Gebrauch subventioniert und die Zersiedlung der Landschaft steuerlich weiter gefördert wird. Daß Subventionen reichlich fließen, wo sie keiner braucht, und andere Stellen keinen Pfennig sehen, nur weil sie zufällig nicht im Gunstbereich der Regierungsparteien stehen.

Daß das Gesundheitswesen nun endgültig und lobbyhörig privatisiert und somit für den "kleinen Mann" unbezahlbar werden wird.

Daß das Schulsystem weiterhin uneinheitlich (weil Ländersache) und unbrauchbar sein wird, weil sich diese Regierung einfach nicht zu einer Abschaffung des Alleinstellungsmerkmals Gymnasium durchringen wird - entgegen aller Notwendigkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Daß Hartz-IV-Bezieher sich noch mehr als bisher für ihre paar Kröten rechtfertigen müssen, während Banker Boni einstreichen und, wenn es nicht klappt, der Staat, also wir alle, den Verlust sozialisieren, nach den guten alten Regeln der sozialen Privatwirtschaft (Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren).

...

Am Ende frage ich mich natürlich: Wie wollen CDU und FDP in zentralen Fragen zueinanderfinden: Datenschutz und Bürgerrechte, Gleichstellung von Lebenspartnerschaften (eventuell unter Verlust der Bevorzugung kinderloser Ehepaare), Steuerrecht, Verteidigungspolitik? Da bin ich gespannt, wer welchen Pantoffel wird schlucken müssen. Aber das ist schon alles, was Demokratie einem an Unterhaltung bieten kann. Alles andere ist auf Planet B angesiedelt.

Kurt Tucholsky: Nehm' wa noch 'ne kleene Molle, wa? Naja, Se müssen ja ooch zehause. Ick wünsche Sie eine vajnüchte Wahl. Denn seh'n Se mal: die Wahl ist der Rummelplatz des kleinen Mannes. Einmal, alle vier Jahre, da tun wa so, als ob wa täten. Aba uffjelöst, und rejiert, wern wa doch. Gut' Nacht.

Sonntag, 20. September 2009

Ab morgen: Mecklenburg

Tja, die Prüfung habe ich nicht gemacht, dafür hatte ich mal so was wie einen Sommer ganz für mich und mußte ihn nicht mit der Bibliothek teilen. Nun fahre ich morgen schon wieder in den Luxusurlaub; Luxus, weil ich gar kein Erholungsbedürfnis verspüre, bloß mich auf eine feine mecklenburgische Metropole an Seen freue, mit der Prinzessin natürlich! Und auf die anfolgende klassentreffenartige Hochzeit im Vier-Sterne-Plus-Hotel. Und natürlich meinen Geburtstag. Im Gegensatz zu anderen Leuten habe ich ja gerne Geburtstag.

Ach, der September-Sommer. An sich uncool, weil es abends so früh dunkel wird, aber dann erwischt man mit etwas Glück Tage, an denen man bis in die Puppen draußen sitzen kann, und dann macht man das auch noch in bestdenkbarer Begleitung, ohne das vorher zu wissen! Am Freitag nach Feierabend erwartet einen die Prinzessin vor dem Laden zwecks abholen und schleppt einen zu Tisch mit der Perle der Arbeitseinheit, welche in netter männlicher Begleitung die Bielefelder Nacht unsicher machen möchte. Na, zunächst machten wir die Nerven der umliegenden Gäste mit unseren dreckigen Lachen unsicher! Man koppele Erzählungen von Bielefeldern in Halle (Saale), Berlinern (Ost) in Bielefeld und Hannoveranerinnen (überall) und füge eine Prise Humor und Blödsinnbereitwilligkeit hinzu, and soon have you the salad. Weiters kann man mit Hauptfrauen und hochgeschätzten Waschmaschinenverschenkerinnen und nach-Kreuzberg-Flüchtigen auf dem Sigi sitzen, bis zur letzten Runde der Supertram, was ich glaub ich noch nie erlebt habe. Man kann auch heutens prima auf der Terasse vom Noodles sitzen und sich von diesem wunderbaren, professionellen, engagierten Kellnerteam verwöhnen lassen.

Außerdem kann man mit der Lieblingsschwester einen Ausflug zum Oberen See unternehmen. Immerhin hat es die Schwester auch zwei Jahre lang in Bielefeld geschafft, dieses hydrologische Wunder zu bestaunen. Und so wurde es auch: "Dit is allet?" war die erste Frage. Und dann umrundeten wir den Spucknapf. Es ist schon so: ein Gewässer macht eine Großstadt attraktiver. Aber irgendein Gewässer eben doch nicht. Ein Rhein, eine Elbe machten eine Stadt schon viele Jahrhunderte zuvor attraktiv, wegen der Anbindung eben, und heute, weil all das Zeug noch rumsteht von der Anbindung. Im berliner Osthafen stehen Kräne und Speicher, darüber freut sich heute MTV. In Hamburg haben sie aus der Speicherstadt einen neuen Stadtteil gemacht. Die Städte sind um die Gewässer drumherum gewachsen, nicht die neumodisch angelegten Gewässer in die Stadt hinein. Ach! Es ist Wasser, und dann doch wieder nicht.

Ab morgen hab ich erstmal wieder Wasser, so viel ich will. Richtiges Wasser, wenngleich auch vergleichsweise jung (letzte Eiszeit). Bericht folgt.

How to detect a depression screening:

Erstens, sozial unverträglich für Diagnostik lernen.
Zweitens, dabei die Item-Response-Theorie im allgemeinen und die Rasch-Modelle im besonderen nicht verstehen.
Drittens, die fast völlige Abwesenheit rasch*-skalierter Untersuchungsinstrumente lautreich beklagen.
Viertens, im Depressionsseminar mehrmals Klagen darüber hören, daß es kein brauchbares und zweckgeeignetes Depressionsdiagnostikum gebe.
Fünftens, aufmerksame Prinzessinnen, bzw. eine reicht eigentlich, sind geprimt (unbewußt voraufmerksam) auf rasch-basierte Verfahren im allgemeinen und stoßen daher mit Interesse, aber eher zufällig auf das DESC* eines unbekannten Konfidenten an der Uniklinik Aachen.
Sechstens spitzen plötzlich Professoren die Ohren, weil sie (s.o.) auch gerne ein schönes Depressionsscreening hätten.
Siebentens (oder wie WIR sagen: siehmtens) recherchiert die eigentlich gar nicht zuständige Hilfskraft dem DESC hinterher, infolgedessen sich eine nette elektronische E-mail-Korrespondenz mit dem DESC-Erfinder entwickelt.
Achtens entpuppt sich das Ding als aufwendig entwickelt und konstruiert und scheint ersten Zahlen zufolge brauchbar zu sein. Und rasch-skaliert ist es auch noch!

*rasch bezieht sich überhaupt nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf den Namen eines Testkonstruktionsprinzipserfinder, der verschiedene mathematische Modelle über Fragebogenskalen und dergleichen entwickelte. Ich kann das hier unmöglich laienverständlich erklären. Auf Nachfrage versende ich gerne das beliebte Schrifttum Studtmann (1999), in welchem alle relevanten Fragen um die IRT erschöpfend behandelt sind.
*bürgerlicher Name des relevanten Depressionsscreenings

Montag, 14. September 2009

exemplarisch

einer von einer gefühlten Million von Online-Kommentaren, die in der Mehrheit basale, grundrechtliche Annahmen negieren, übergehen, ja nicht einmal zu kennen oder verinnerlicht zu haben scheinen und, aber fast überflüssig zu erwähnen, ohnehin das gute Auge-um-Auge-Prinzip für brauchbarer halten.

Da diese Mörder aufgrund ihres jugendlichen Alters ohnehin irgendwann wieder freikommen werden, sollte ihnen die Haftzeit ordentlich vergällt werden und zwar durch erzwungene Beschäftigungen, die an ihrem Ehrbegriff kratzen. An Sportbetätigung sollte denen nur erlaubt werden, am Schwebebalken zu turnen. Paartanz (Walzer, Polka und andere Standards) wäre die Alternative. Selbstverständlich keine betont maskulinen Sportarten, Fussball wäre ausgeschlossen und Kampfsportarten erst recht. Handarbeitskurse müssten das Ganze ergänzen: Jeden Tag einen Mädchenstrumpf gehäkelt, dann gibt's zur Belohnung eine Stunde Malefiz-Spielen. Zu Weihnachten dürfen sich die Jungs dann mal hübsch schminken. Zum Anbringen von Nagellack (Fuß- und Fingernägel) gibt es dann Vorrichtungen, die den Jungs erlauben mal den einen Fuß, mal den andern, mal die eine Hand, dann die andere durchchzureichen, damit die Dame vom Nagelstudio ungefährdet zur Verschönerungsaktion schreiten kann. Kurse zum Malen mit Wachsmalkreide sollten auch zum Angebot gehören. Die Motive wären vorgegeben: Blumenbilder, für die Fortgeschrittenen dann Heiligenbilder. Zum Lesen gäbe es nur: Hanni und Nanni-Bücher, oder Heidi. TV und Radio wäre natürlich ebenfalls gesperrt. Zu Sonn- und Feierttagen dürfte allenfalls eine Stunde Klassik gehört werden.

An diesem Text ist so viel anzumerken.

Als erstes scheint dem Autoren aufzustoßen, daß nach Jugendstrafrecht Verurteilte "recht bald" wieder freikommen. Das klingt so, als würden die sich das vorher ausrechnen. "Komm, wir killen den jetzt mal. Gibt ja nur zehn Jahre, und dann können die uns mal resozialisieren! Mit 27 haben wir das Leben doch noch vor uns!"

Die Vorstellungen des Autoren über Haftzeitvergällung fußen ausschließlich auf fast peinlichen Pauschalisierungen über das Selbstverständnis gewalttätiger Jugendlicher. (Und wir schweigen bei dieser Betrachtung über die Annahmen über die Würde des Menschen, auf die auch der Täter während der Bestrafung ein Anrecht hat.) Auch Schwebebalkenturnen dürfte Muskeln zu Tage führen, und hat man jemals Liegestützen zu verbieten versucht?

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Über diese Taten zu lesen macht mich rat- und hilflos: couragierter Mann wird totgeschlagen; Rentner wird halbtot geprügelt; Berufsschüler nutzen ihren Klassenfahrtaufenthalt in München, um Obdachlose und andere wehrlose Personen zu verprügeln; Busfahrer in Berlin sind nicht mehr sicher, weil sie häufig von Jugendlichen drangsaliert werden; Jugendliche verprügeln und töten einen geistig zurückgebliebenen Jugendlichen in Brandenburg (und versenken ihn in irgendeiner Grube); aber was würde helfen?

Wie schwer es einem fällt, bei den Grundrechten zu bleiben! Immer! Und doch nutzen sie nichts, wenn sie nicht immer gelten. Und es nutzt nichts, Verbrecher einfach wegzusperren, auch nicht zum Schutz der Gesellschaft, denn das Wegsperren kostet viel Geld, und es hilft, neue Verbrecher zu produzieren. Und es hilft nichts, jetzt eine sogenannte Kuschelpädagogik anzuprangern, die zu viel Verständnis für die Täter und deren vermutlich schwere Kindheit zeige und zuwenig Erfolge beim Opferschutz zeige.

Man zeige mir einen einzigen Täter, der eine psychologisch zufriedenstellende Kindheit mit Möglichkeiten zur Bildung stabiler Bindungen und Entfaltung evtl. vorhandener Begabungen vorweisen kann, und ich revidiere Teile meines Menschenbildes.

Das Geld, was hintendrein alle ausgeben wollen für 15 statt 10 Jahren Höchststrafe, das kann man auch vornerum ausgeben für vernünftige Prävention. Blöd ist, daß erfolgreiche Prävention und erfolgreiche Resozialisation nach Haftstrafen monetär schlecht meßbar sind. Wie will man eine nicht erfolgte Vergewaltigung, das nicht verkaufte Päckchen Koks, den unausgeräumten Laden denn messen?

Und der Mann in München ist einfach tot, egal was jetzt diskutiert wird. Man hat den Eindruck, daß er alles richtig gemacht hat, daß es ihm aber nichts genützt hat. Wie viele unmeßbare Situationen gibt es eigentlich pro Woche in München, in denen kein couragierter Endvierzier aufsteht und eingreift, sondern die Angegriffenen klaglos das Geld hergeben, was sie so dabeihaben? Auch das eine statistisch unbekannte Größe.

Sonntag, 13. September 2009

.. in vollem Staatswichs

... gebürstet und gestriegelt stiefeln die drei Damen zunächst ins Stahlberg, um sich angemessen zu stärken, und anschließend ins Stadttheater, um andächtig und kichernd, bisweilen sogar laut herauslachend den Worten von Max Goldt zu lauschen. Das gut gefüllte, aber nicht ausverkaufte Stadttheater sieht von außen zwar pompöser und repräsentativer aus als das gute alte Theater am Alten Markt, wo Max Goldt sonst seine bielefelder Lesungen abhält, aber innen hat es Ränge, aber im Parkett ist es nicht größer. In Reihe 4 sitzt man dem Autoren beinahe auf dem Schoß. Und schön wie immer ist es, den gleichzeitig unprätentiös und gut vorgetragenen Texten zuzuhören, und Vergnügen wird einem in einer durch gleichzeitige Schüchternheit und Professionalität geprägte Veranstaltung geboten. Mögen doch mehr bescheidene, fein beobachtende und formulierende Menschen durch die Lande ziehen und Stadttheater, nicht -hallen, mit interessiert lauschendem Publikum füllen, das auch mal zwei Stunden die Klappe halten und das iPhone wegstecken kann!

Diesmal habe ich mich getraut und ein Buch, das neue, das erst am 18. September erscheinen wird, gekauft und signieren lassen. Das war ein sehr feines Erlebnis mit dem feinen Herrn Max Goldt.

Am meisten, glaube ich, mochte die Prinzessin die launischen Bemerkungen über das Berliner Plusquamperfekt. Das ist jetzt sowas von Vergangenheit, also sowas von! Die Anekdote zum Thema betraf einen Restaurantbesuch der feineren Art, an dessen Ende der Kellner höflich fragte, Waren Sie zufrieden gewesen? Was soll man denn, nähme man die Grammatik ernst, darauf antworten?

Was den heutigen Abend betrifft: Ja, ich bin es gewesen und bin es noch immer. Bis zum nächsten Mal.

Donnerstag, 10. September 2009

aus naheliegenden Gründen

mag ich google.books nicht: Gabs früher auch nicht, soll man die Bücher nicht lieber kaufen, und überhaupt.

Aber bei ganz bestimmten Fünden denkt man vielleicht doch anders, daß das das elektronische Zeitalter nämlich Funde ermöglicht, die man vorher nicht angestrengt hätte.

Bißchen wehmütig, bißchen stolz... bißchen lang her

Schön war's hier schon 1997:

sagen die Buben.

Magnus, Inferno 2 und selbst die Restetruhe gibt es allerdings nicht mehr. Ob Max Goldt das bei seinem Bielefeld-Besuch am Sonntag bemerken wird?

Montag, 7. September 2009

Wow!

Auf dem Heimweg Ohrwurm von einer Arie gehabt, die ich vor mindestens 12 Jahren mal in Musik durchgenommen habe. Arie vor mich hinpfeifend nach Hause geradelt. Zuhause dringendes Bedürfnis verspürt, Arie anzuhören. Nicht mehr an Namen der Arie oder wenigstens Oper oder überhaupt Komponisten erinnert. Vage was mit Papageno im Sinn gehabt, den hatten wir nämlich auch mal in Musik. Glaub ich. Papageno wars aber nicht. Text war italienisch oder so. Umfangreiche Arienauflistung entdeckt, hilft aber nicht. Youtube hat noch keine Pfeiftonerkennung. Dann bei Amazon Opern gesucht, wo man dann die Titel anspielen kann. Arie gefunden. Bei youtube angehört und dahingeschmolzen.

Dienstag, 1. September 2009

adé

Nun habe ich es verpaßt, mir noch schnell ein paar 100-Watt-Glühlampen zu kaufen, oder ein paar mattierte 60er: hell, aber nicht grell. Wieder einmal wird mir im privatesten Raum auf unsinnigste Weise die Verantwortung für Klimawandel und Polkappenabschmelzen übergeben, während draußen auf dem Ostwestfalendamm alle paar Minuten einer dieser riesenhaften, für Ein-Kind-Familien offenbar unumgänglichen Geländewagen (wie haben die DDR-Eltern eigentlich ihre zwei bis drei Kinder in den Trabi bekommen, falls sie einen hatten?) über die Brückennaht springt.

Was passiert eigentlich?

Natürlich erstmal was Gutes. Die böse, durstige und kurzlebige Glühbirne muß weg. Aufatmen können Eisbär und Feldhamster. Der böswillige, träge und unumgewöhnbare Mensch will aber nicht verzichten und mit der Energiesparlampe fremdgehen. Er ist treu, zumindest seiner geliebten Glühlampe. Sie ist warm, hat eine gute Figur und ist immer sehr schnell bereit. Die Energiesparlampe ist fast direkt meist häßlich anzusehen; darüber hinaus zickt sie lange rum und verbreitet dann ein kühles Licht, das sie wenig anziehend macht. Freilich, im Verbrauch ist sie genügsam, doch wohl nur dort, wo man sie lange (r)anläßt. Häufiges Aus- und Anmachen entschuldigt sie ebensowenig wie die gewohnte Entsorgung im Hausmüll. Auch nach dem Leben noch besteht die Diva auf einer Sonderver/entsorgung, und wie der Mensch so ist, kann man sich ja vorstellen, wie genau er sich dran halten wird.

Sieht also doch nicht nur gut aus, wie? Vielleicht haben sich die Energiesparlampen zusammengerottet und ein Komplott gebildet, um die beliebte Glühbirne dem Menschen endlich abspenstig zu machen und endlich ihre Schrullen ungestört und ohne die unliebsame, anschmiegsame Konkurrenz ausleben zu können.

Was sind nochmal die Argumente? (Ich bin prinzipiell zu faul, irgendwelche Zahlen anzuführen. Interessierte können z.B. auf wikipedia nachlesen.)

Verbrauch: Ja, die Glühbirne verbraucht mehr. Wenn sie hängt und leuchtet. In der Entwicklung (quasi nicht mehr nötig) und in der Herstellung ist sie wesentlich unaufwendiger und ungiftiger.
Lebensdauer: Ja, die Energiesparlampen leben länger, allerdings längst nicht soviel länger, wie es immer behauptet wird. Im normalen Privathaushaltverbrauch lebt sie grad zwei- bis dreimal solang; das ist, bemessen am Preis, nicht besonders berühmt.

Das wars mit den Pro-Energiesparlampen.

Was spricht - für Privatleute - eigentlich dagegen?

Lichtfarbe: Das häufigste Argument seit vielen Jahren ist die ungetreue Lichtfarbe und daraus resultierend Farbwiedergabe. Begeisterte Befürworter gehen da immer mit so einem patzigen Bah! drüber, als würde die Lichtfarbe, wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat, überhaupt eine Rolle spielen! (Als Beispiel auf geo.de wird Spinat, der nicht mehr richtig grün sei, angeführt, und was daran denn nun mal so schlimm sei.) Falls ich mit unkorrekt wiedergegebenen Gemüsefarben evtl. die Welt vor dem Klimakollaps, dem Ansteigen der Meere und dem Versinken Hollands und Dänemarks retten könnte, würde ich wirklich sofort und militant alle mir täglich begegnenden Glühbirnen gegen blaublütige Energielampen tauschen.

Schwermetall: Die Energiesparlampe gehört nicht in den Hausmüll. Aber Hand aufs Herz, liebe Leser: Wie oft seid ihr schon zum nächstgelegenen Müllhof gefahren und habt eure Sparlampe fachgerecht entsorgt? Natürlich nicht mit dem Auto - das würde wahrscheinlich mehr Dreck machen, als mit den Lampen eingespart wurde. Außerdem wird Quecksilber wohl gerade für alle möglichen Benutzungen aus dem Verkehr gezogen und verboten. Bloß die kleine liebe Sparlampe, da sind ja auch nur paar Milligramm drin, im Thermometer wars ein ganzes Gramm (bloß glaub ich, daß man ein ganzes Stück mehr Lampen als Thermometer im Haus hat), und weil die eben fachgerecht sonderentsorgt wird, passiert da ja nix.

Umwelt: Da ja der böse, faule Mensch (siehe oben) nicht von alleine auf sein Glück mit der Energiesparlampe kommt und lieber fortfährt, die Polkappen mithilfe der Glühbirne abzuschmelzen, muß man ihm das Spielzeug eben wegnehmen. So! Im Kommunismus mußte man die Leute auch erst zu ihrem Glück zwingen, und im Antikommunismus erst recht. Daß man in der Umweltpolitik da noch nicht früher drauf gekommen ist, wundert mich eigentlich. Ich hätte da noch ein paar mehr Vorschläge:

Verbot von Fahrzeugen mit einem Verbrauch von mehr als 10 Litern je 100 Kilometern
Flächendeckendes Tempolimit auf den Autobahnen
Abschaffung von Pendlerpauschalen
Strafgebühren für von weit herbeigeschafften Produkten (Grundnahrungsmittel), die auch in der jeweiligen Region produziert werden (z.B. Milch, Butter, Mineralwasser); gilt auch für den Biomarkt (warum gibt es in den berliner Bioläden Andechser Bioprodukte zu kaufen? Werden die mit dem Fahrrad dahingefahren?)
Abschaffung der Steuerfreiheit von Kerosin und Verbot von Flügen unter 1000 Kilometern (oder jede andere Zahl - diese ist beliebig gewählt) - warum muß man von Berlin nach Hamburg fliegen können? Selbst Frankfurt und sogar München sind albern - außer man hat die Termine jeweils direkt am Flughafen. Jeder gesparte Flug zwischen Hamburg und Berlin hat wahrscheinlich ein Umweltschutzpotential von 1 Million normal genutzen Glühbirnen.

Ich will gar nicht mir Lobbys anfangen. Aber warum ich mich ausgerechnet wegen meiner altmodischen Glühbirnen schlecht fühlen soll, verstehe ich nicht. Hat noch jemand ein paar 100er ergattert?