Oder was macht man mit Faziten (oder wie heißt davon die Mehrzahl?) - hat man die, macht man die, oder zieht man die eben? Wenn ich es so lese, klingt es komisch.
Also, jedenfalls habe ich nun fast ein Vierteljahr in Berlin gelebt, in einem Viertel, wo ich noch nie gewohnt habe, und mit einer Tätigkeit, der ich noch nie nachgegangen bin (und ohne eine Tätigkeit, der ich sonst immer nachgehe). Was nehme ich mit nach Bielefeld?
Wenn man um elf irgendwo sein soll, muß man eher um acht aufstehen, je nachdem, wie geduscht und kaffeegetrunken man sein will. In Bielefeld reicht es locker, um halb zehn aufzustehen, und das ist ja gefühltes ausschlafen.
In Berlin breitet sich schnell Buchstabenarmut aus, und allenthalben muß man die Flohmärkte nach neuem Lesestoffnachschub durchwühlen. Allein schon die langen Straßenbahnminuten lassen die Büchervorhaben purzeln, und daheim kann man auch nicht immer nur das Internet auslesen. In Bielefeld brauche ich für manches Machwerk Wochen, einfach weil ich (Ich!) nicht richtig zum Lesen komme: in der überfüllten Bahn lohnt es kaum, und meistens fahre ich eh Auto bzw. Fahrrad. In der Uni lese ich andern Kram, und von der Arbeit komme ich meist so spät heim, daß das Internet an Zerstreuung ausreicht. Bloß im Bett gibt es ein paar Zeilen, oder wenn ich bei der Prinzessin fernsehen muß.
Haupterkenntnis: Natürlich komme ich mit wenig Kram aus. (Habe eigentlich eh schon wenig, wegen der vielen Umzüge, aber immer noch zu viel.) Trotzdem haben mir Dinge, vor allem Bücher und Photos, gefehlt. Ganz asketisch möchte ich nicht sein.
Weitere Haupterkenntnis: Auf kulturelle Highlights nicht unbedingt ein Dreivierteljahr nach Bekanntgabe noch warten zu müssen, empfinde ich als großartig. Und selbst wenn sich weder Max Goldt noch die berlin bunny lectures nicht die Ehre gegeben hätten, habe ich mittels der Lesebühnen, die es ja praktisch immer gibt (und wo man deshalb dann doch fast nie hingeht) trotzdem immer frei verfügbare, niedrigschwellige Angebote gehabt.
Noch wichtigere Haupterkenntnis: Es wäre der richtige Beruf für mich (zumindest so, wie ich ihn hier ausleben konnte). Und ich habe ein deutliches Gefühl dafür gewonnen, was ich noch alles werde lernen müssen.
Weitere nicht unerhebliche Erkenntnis: Ich liebe diese Stadt. Sie ist groß, laut, manchmal unhöflich und nie charmant, aber gibt es etwas besseres, als sich in einer Straßenbahn von Weißensee nach Mitte schaukeln zu lassen? Ist es nicht großartig, daß ich mitten in der Nacht problemlos von Friedrichshain heimkomme (wenn auch in einer gut besetzten M10)? Daß man wegen Filmarbeiten in der Oranienburger Straße die Straßenseite wechseln muß? Daß man überall leckere Broiler für 2,50 bekommt? Daß man fast immer sein eigenes Tempo laufen kann, ohne ständig zusammenzustoßen oder aufgehalten zu weden? Daß hier diejenigen schief (und spöttischen Lächelns) angeschaut werden, die bei minus 20 Grad in Strumpfhose und Pfennigabsätzen nebst blankem Hüftspeck über Eisberge turnen? Und nicht diejenigen, die in derben und angemessenen Kleidern und Schuhwerken die winterliche Stadt bezwingen? (Und ich könnte noch mehr aufzählen.)
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