Samstag, 29. August 2009

Wahlkampf auf ostwestfälisch

Hier darf ich morgen zum ersten Mal im Leben eine Bürgermeisterin wählen. In Berlin geht das nicht, weil der Regierende Bürgermeister so eine Art Ministerpräsident ist und daher in der Regel der Anführer der stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus ist. Also wie beim Kanzler-Nicht-Wählen.

Ich kann mich hier in Biele des Eindrucks nicht erwehren, daß eher der Oberklassensprecher gewählt wird. Von heißem Wahlkampf ist ohnehin nichts zu bemerken. Einzig die Linke plakatiert die Stadt zu mit Forderungen wie Reichtum besteuern und Hartz IV abschaffen, und der FDP fällt nichts besseres ein als ein Motiv mit zwei Schnecken, sinnigerweise SPD und CDU benannt, versehen mit dem Spruch Fortschritt ist anders, wobei man sich fragt, warum die FDP dann ausgerechnet einen pensionierten Berufsschullehrer in die Schlacht ums Rathaus schickt.

Überhaupt ist die bei Kommunalwahlen ohnehin meist geringe Kreativität auf merkwürdige Weise vollständig erlahmt - oder wie erklären sich die heute zu beobachtenden Phänomen der Kombination von Ballons und Rosen? Warum wird die heftig umworbene Erstwählerklientel (Wahlrecht ab 16 Jahren) an den Schulen mit Lollis und Bonbons gelockt? Warum streift der Kandidat der CDU nächtens durch die Lokale der Altstadt, um dann seinen Lakaien vorzuschicken, der den Genußwilligen (die in mäßig teuren Tapas-Lokalen ihrer streng geregelten Freizeit nachgehen!) Lutscher anbietet? Warum ist die erste Frage des Vertreters der Bürgernähe während des überfallartigen Ansprechens in der Fußgängerzone, ob ich am Sonntag auch kommunal wählen würde - erstmal abklären, ob sich ein Gespräch überhaupt lohnt? Warum kann man am Ende eines Sonnabends in der Innenstadt mit einem reichhaltigen Rosenstrauß in verschiedenen Farben heimkommen - weil die PR-Agenturen das mit den Rosen so herzig und individuell finden? Hoffentlich werden die Blumen wenigstens vor Ort, bei einheimischen Betrieben geordert und nicht in Polen gedruckt wie weiland die Wahlprogramme der NPD.

Gleichzeitig ist ja auch Bundestagswahlkampf, der sich gleichzeitig sehr bedeckt hält und hier in NRW natürlich mit dem Kommunalwahlkampf aufs engste verbunden ist. Das weiß übrigens auch keiner, warum ständig irgendwelche Wahlen sind, die sich natürlich gegenseitig beeinflussen. So kann man ja nicht anständig und in Ruhe in Würden regieren! Jedenfalls, ich weiß nicht, was zuerst da war, aber die Bundesparteien scheinen den Wähler ja inzwischen für völlig gaga zu halten. Früher machte man sich wenigstens die Mühe, Kernsätze aus dem Wahlprogramm knackig auf die Plakate zu bringen, auch wenn sie beliebig klangen. Heute knöpft man den Damen die Blusen auf und freut sich darüber, daß alle Welt darüber diskutiert, ob eine Kanzlerin ein Dekolleté herzeigen darf, und ein Wahlprogramm sucht man vergebens.

Naja, wahrscheinlich hat auch keiner mehr Bock, sich ein Wahlprogramm durchzulesen. Aber die Folge davon scheint zu sein, daß die Stimmen nach Gefühl abgegeben werden, und das bedeutet dann oftmals, daß die armen Hascherl, die unter Rentenkürzung und Mehrwertsteuererhöhung am meisten leiden würden, eine Partei wählen, die genau das macht, aber als rigide gegenüber irgendwelchen fiktiven Sozialschmarotzern (nicht gemeint: ehemalige Bankmanager) gilt. Oder andersrum: Wenn Minderheitenangehörige sich besser vertreten lassen fühlen wollen (ein guter Satz mit 4! Verben nacheinander!), müssen sie eine von den Miniparteien wählen, weil die in kluger Vorausschau die Minderheiten ausgemacht und ins Wahlprogramm eingearbeitet haben, wobei sie sonst nur Unfug machen.

Als ich noch kleiner war und mir die Errungenschaften der modernen parlamentarischen Demokratie quasi ungefragt frei Haus geliefert wurden, dachte ich immer, alle 4 Jahre, was ist daran denn Demokratie? Heute ergänze ich: Können wir nicht weniger, aber dafür differenzierter wählen? Welches Parteiprogramm entspricht schon in allen Punkten meinen Vorstellungen - falls es eines gibt? Und warum gibt es überhaupt Bundesländer? Kann man die nicht einfach abschaffen?

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