Sonntag, 23. August 2009

Ohne Bild von Baltrum

Hier gibt es kein Kabel und kein blue tooth, tja, so ist das mit den modernen Gerätschaften, also auch keine Photos vom Telephon. Und richtige Photos gibts auch nicht, weil die ganz altmodisch zum Entwickeln gegeben werden müssen, wie früher. Früher hatten wir ja nix, nicht mal'n Bollerwagen, aber jetzt weiß ich auch, warum, weil die nämlich alle auf Baltrum herumstehen. Baltrum, die Insel der Bollerwagen. Lustigerweise werden auch Distanzen mithilfe von Bollerwagen zurückgelegt, die man anderswo trotz Autolosigkeit auch ganz gut zu Fuß und mit Rucksack/Kinderwagen bewältigen würde. Das scheint zu Baltrum dazuzugehören, genauso wie das Tuten der Fähre, die Kaninchen und die gelben Telephonzellen. Auf der Insel scheint jemand von der Post mal traumatisch mit Telephonmöglichkeiten unterversorgt gewesen zu sein und veranlaßte daher, halb am Rande der Legalität, die Errichtung und Anschließung von mindestens acht, wenn nicht sogar zehn Telephonzellen (schickes, zeitloses Gelb, mittleres Spätzwanzigstesjahrhundert), und man ist ihm erst auf die Schliche gekommen und hat weitere Häuschen verhindert, nachdem bereits noch zwei des damals neueren Grau-mit-pink-Stils aufgestellt wurden und gleichzeitig die Bevölkerung mit mobilen Telephonen überversorgt war. Böse Zungen behaupten übrigens, daß, wenn man jemals eine Person in einer der zahlreichen, in Rudeln auftretenden Zellen telephonieren sähe, daß die dann auch mindestens 55 Jahre alt sei, was ich aus eigener Anschauung durchaus bestätigen würde. Jedoch erblickten wir heute wirklich zwei Leute telephonierend in einem jener rührend anachronistischen Häuschen, die zusammen nicht 40 waren.

Weiterhin grotesk auf Baltrum die Bevölkerungsdichte der Hasen. Bzw. wahrscheinlich Kaninchen (Ohren eher klein). Niemand weiß mehr, ob die mal früher aus Ställen ausgebüxt sind oder sogar freigelassen, ausgesetzt wurden, aber jedenfalls waren sie seitdem nicht müde, dem Kaninchenklischee zu entsprechen, und vermehrten sich entsprechend. D.h. wenn man des Abends durch einen beliebigen Teil der Insel geht (und tagsüber durch einen eher abgelegenen), dann sieht man Kaninchen. Erst eins, das unauffällig vor sich hinmümmelt. Dann noch eins, und dann hat man meist fünf oder sogar mehr im Blick, die man vorher gar nicht gesehen hat! Es handelt sich hierbei um ein schönes Beispiel für Somatolyse, weil man die Kaninchen nämlich echt nicht sieht!

Hübsch an der Insel der vorbildliche Strand, verfassungsgemäß in Strandkörbe, Strandmuscheln, Hundestrand und Drachenstarts unterteilt - FKK sucht man an der Nordsee wohl vergebens. Der Strand ist breit genug, um auch bei Flut noch genügend Raum für alle zu bieten. Bei Ebbe muß man ganz schön lange den Friedhof der Muscheltiere überqueren, um überhaupt das Wasser zu erreichen - dann aber hat man vielleicht die Chance, einen Einsiedlerkrebs auf der Flucht oder sogar einen Seestern zu sehen. Wenn man einen Einsiedlerkrebs, das ist ein Krebs mit einem Schneckenhaus, aus dem Wasser nimmt, versteckt er sich in seinem Häuschen, aber nach kurzer Zeit streckt er kurz ein Beinchen raus, um die Lage zu peilen - das ist sehr süß! Die Quallen der Nordsee sind hingegen brechreizerregend häßlich. Muscheln gibt es reichlich.

An die Gezeiten gewöhnt man sich bei kurzem Aufenthalt in der Form, daß es sie gibt. Da die Tide der Schrulligkeit von mehr als 12 Stunden Rhythmus folgt, finden Niedrig- und Hochwasser jeden Tag zur anderen Zeit statt. Das ist ein bißchen, als müßte man jeden Tag aufs neue den Beginn der Tagesschau im Internet nachschlagen, bloß die Implikationen reichen weiter. Die Fähre fährt nur ums Hochwasser herum - also nicht wie eine S-Bahn in irgendeiner Art Takt, sondern je nach Gelüsten von Madame Meer. Die Fähre versorgt aber die Insel mit allem, was die Insel täglich für 500 Einwohner und bis zu 3000 Touristen braucht. Es gibt quasi eine Kaufhalle und einen Konsum, darüber hinaus diverse Gaststätten und Hotels, und der Müll muß auch irgendwohin. Und da die Insel auch noch autofrei ist, wird der ganze Kram mit Pferdefuhrwerken herumkutschiert. (Am Briefkasten ist über die üblichen Leerungszeitenangabe ein breiter Streifen geklebt, der auf die Tideabhängigkeit hinweist, und daß der Kasten zwei Stunden vor Abfahrt der Fähre (wann auch immer das sein mag!) geleert wird. An der Volksbank steht, daß die Extra-Berater einen gerne extra beraten, von dannunddann bis dannunddann, und darunter handschriftlich - wegen der Fährzeiten können sich die Beratungszeiten, ähm, ändern.)

Diese Gezeiten bestimmen also deinen Aufenthalt auf Baltrum merklich, genau wie die mangelnden Ausmaße der Insel. Man kann wunderbar spazierengehen und sich dabei zwischen Strand und Dünen entscheiden, wobei beides jeweils Vor-und Nachteile hat. Aber einen richtigen Ausflug kann man eben nur machen, wenn man aufs Festland fährt, und das wäre ja albern. Schönerweise drapiert man sich also lieber mit der Prinzessin windgeschützt im Strandkorb und verschlingt Kekse und Buchstaben. Zwischendrin macht man im Standcafé eine Sozialphobie-Expo und organisiert Currywürste herbei (wenn man es dann gelernt hat). Auch hier sitzt man idealerweise im Strandkorb.

Wenn der geneigte Leser jetzt schleunigst einen Baltrum-Urlaub einplant, sollte er allerdings, wenn er über eine Schwäbisch-Allergie verfügt, den baden-württembergischen Ferienkalender bei der Hand halten - so weit entfernt die Insel von Stuttgart&Co zu sein scheint, so erreichbar ist sie offenbar doch für die solventen Besitzer der schwäbischen Luxuslimousinen und deren quengeligen Nachwuchs mit Nachwuchssorgen. Also der Nachwuchs der Menschen jetzt, nicht der Autos. Das Anhören der schwäbischen, Sprache will ich jetzt nicht sagen, Laute also, das war schon fast traumare-induzierend. Bißchen anstrengend in einer Gegend, in der man einander Moin! sagt und sonst auch nett, aber direkt zueinander ist. Man kann ja nicht bis zur nächsten Flut mit den Floskeln zubringen, und dann muß man eigentlich schon wieder los!

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