Montag, 13. April 2009

Hannover und Berlin: je 24 Stunden

Aber vor den Osterspaß hat der liebe Gott oder jemand anders den Donnerstagabend gesetzt, der im mittelgroßen Kreis den immerfort essenden Topmodels in spe sowie der Proseccoflasche gewidmet ist. Dann geht es auf die Autobahn und in Hannover in den feiertäglich angefüllten Zug, und am Hauptbahnhof Berlin kann ich mir schonmal den Button Auskünfte aller Art, auch in Fremdsprachen, ans Revers heften. Für Ortsfremde ist das schmucke Teil offensichtlich nicht selbsterklärend. Dabei gibt und gab es ja Bahnhöfe, die bezüglich ihrer verfügbaren Transportmöglichkeiten räumlich wesentlich instransparenter wirkten, wie zum Beispiel der Bahnhof Alexanderplatz in der Zeit zwischen dem Fall der Mauer und der darauffolgenden Zugänglichmachung zweier weiterer U-Bahnlinien (1989) und der Fertigstellung seiner Renovierung und Brauchbarmachung (ca. 2002). Damals wußte jedes Kind in Berlin, daß man niemals am Alex von der S-Bahn in die U2 umsteigt, weil das selbst Einheimische nicht auf Anhieb schaffen*. Am Hauptbahnhof jedenfalls sieht man das Elend ja jedenfalls, also das unten, wo man hinmuß, kann man auch von ganz oben sehen. Bloß eben nicht springen, sondern entsprechende Rolltreppen wählen!

Während der Zugfahrt blickte ich in die ausgezeichnete aktuelle Ausgabe der Vierteljahresschrift Dummy, deren Ausgaben sich jeweils hingebungsvoll einem einzigen Thema widmen; diesmal dreht es sich auf vielen Seiten einzig und allein sehr gelungen um Berlin (sic!). Falls also jemandem vor mittellanger Zugfahrt am Bahnhof im Kiosk diese Publikation auffallen sollte: nicht zögern, zugreifen! Einziger Wermutstropfen in der sonst gut abgeschmeckten Journaille-Suppe: Liebe Dummy-Leute, Friedrichshain und Prenzlauer Berg sind zwei ehemalige Berliner Stadtbezirke, die inzwischen in größeren Bezirken aufgegangen, als Stadtteile aber ungehindert und vor allem unverändert im Sprachgebrauch und auch sonst erhalten geblieben sind. Und schon immer sind die jeweiligen Bezirksbezeichnungen als Eigennamen zu verstehen und nicht als Ausdrücke etwaiger geographischer Besonderheiten. Zwar gibt es tatsächlich einen König Friedrich gewidmeten Park entsprechenden Namens, aber der Volkspark Friedrichshain befindet sich auf dem Gebiet von Prenzlauer Berg und hat mit dem angrenzenden Bezirk zwar den Namen, sonst aber wenig bis nichts gemein (vor allem befinden sich im Park viel mehr Bäume!). Genauso befinden sich zwar große Gebiete von Prenzlauer Berg auf der nordöstlichen Begrenzung des Berlin-Warschauer Urstromtals und mithin, für Berliner Verhältnisse, auf einem Berg, in dessen gedachter Verlängerung irgendwann auch die Stadt Prenzlau in der Uckermark liegt. Trotzdem handelt es sich nicht um einen Stadtbezirk, der aus Faulheit nach einem auf einem Hügel befindlichen Unterschichtsviertel benamst wurde. D.h. der Statbezirk Friedrichshain ist kein Hain und der Stadtbezirk Prenzlauer Berg ist kein Berg - also wohnt man in Friedrichshain, zieht nach Prenzlauer Berg, trifft sich in Friedrichshain in einer Kneipe und besucht eine Freundin in Prenzlauer Berg. Kein der, kein im, kein auf. Daran erkennt man den echten Westschreiber. Es sagt ja auch niemand, daß einer aufm Kreuzberg oder im Tempelhof wohnt. Quasi als Wiedergutmachung hingegen betrachte ich den Halbsatz in der alten und neuen Bundesrepublik und in der DDR, mit welchem klargemacht werden soll, daß sowohl früher, also in den beiden damals existierenden deutschen Staaten, als auch heute, in dem einen noch fortdauernden deutschen Staat, Berlin diese und jene Attraktion auf Zuwanderer hatte. Das ist viel löblicher, treffender und vor allem richtiger als die unsäglichen fünf neuen Länder bzw. alten Bundesländer, oder die ehemalige DDR, oder noch besser damalige DDR, oder das blöde Ostdeutschland und Westdeutschland, das nun wirklich Kalter-Krieg-Sprech ist und längst abgeschafft gehört. Ich schlage hiermit die oben angeführte, aus dem Dummy: Berlin entliehene Redeweise als alleinig zulässige vor, wann immer es um das Heimatland in seinen historischen und aktuellen Bewußtseinszuständen gehen möge.

In Oranienburg wie auch im Rest der Republik herrschte fast unverschämt gutes Wetter, und wenn es nicht wenigstens etwas windig gewesen wäre, hätten die typischen Wetterningeler aber alt ausgesehen! (Ein Wochenende - mäßig grau, aber niederschlagsfrei - zuvor beim duschen im Radio, nach einer langen Woche mit sehr schönem Wetter - in Bielefeld! - gehört: Ich wünsche mir und uns allen, daß die Sonne endlich wieder scheint und es nicht mehr so kalt ist.) Allerlei Miezekatzen stromern herum, es gibt Eis und Erdbeerkuchen und Gegrilltes, bloß der Teich ist nach Umbau und Erweiterung noch nicht wieder liquide.

Abends sitzt das junge Europa im 7 in Friedrichshain am Ostkreuz, der frühere Decision-making-Konfident erscheint als Überraschungsbesuch und vertellt Spökes über sein Promotionsvorhaben. Schön ist es in Friedrichshain. Am nächsten Tag wird mit der Lieblingsschwester der Kiez vermessen, zu Fuß natürlich. Ein seltenes Vergnügen. Die Sonne prasselt. Auf Friedrichshains Straßen hört man nurmehr Englisch, Spanisch und Französisch, die Passanten sehen so merkwürdig aus wie sie sprechen: urban mit dem Laptop unterm Arm, die Wollmütze dem unösterlich brennenden Zentralgestirn trotzig entgegengereckt, die Papierbeutelchen mit dem korrekten Käse vom Markt in den oversigned Kinderwagen gestapelt... wenige Leute, die einfach nur hier wohnen und unaufgeregt ihre Biographie bewältigen. Trotzdem zieht es jede meiner Fasern direkt hierher zurück, und das Wissen, daß Duisburg noch anderthalbt ICE-Stunden weiter entfernt ist, beginnt sich wahrnehmbar in den Vordergrund zu schieben.

Dann noch Hannover mit einer imposanten 12-Apostel-Location dort, wo meine geliebten Pelikan-Füller früher herkamen, einer beeindruckenden Menge Wasser, Stahl, Glas und Beton und einer Turminstallation namens Die drei warmen Brüder, wobei der Begriff, wie mir versichert wurde, von der einheimischen Bevölkerung tatsächlich auch verwendet würde - im Gegensatz zu entsprechenden Berliner Spitznamen, bei deren Übernahme man immer vorsichtig sein sollte, will man sich der Lächerlichkeit nicht preisgeben. Niemand sagt Telespargel oder Waschmaschine.

Jedenfalls gab es in Garbsen noch: Idylle; Teich; Bruder im Teich; Cousine; Eltern; Tante-Onkel-Doppelpack; Oma; Osterwetter; Kanal mit Sperrtor; Grill mit Ritualen; Entspannung und Aufnahme und Unkompliziertheit und Freude; Ostereiersuchen; was wird Ostern eigentlich wann und warum gefeiert, und woher weißt du das alles?; langen Spaziergang; Wasser; Altbierbowle... das alles sehr gut auszuhalten.

Und dann ging es heim in einen wundervollen Ostermontag hinein... und morgen beginnt die Vorlesungszeit.

* geklaut bei Max Goldt.

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