Montag, 15. September 2008

Endlich: der langersehnte Bericht über die Klassenfahrt der Decision maker nach Nürnberg. Mit unglaublichem Bildmaterial!

Hinzu ja mit dem Auto. Gemächliches Fahren auf mittwochig leerer Autobahn. Reizvolle Landschaft fast die ganze Zeit über. Erst Sauerland, dann viel Hessen, dann die schöne Rhön, und ab Würzburg wirds richtig schön. Naja, wohnen will ich da nirgendwo, zuviele Berge, und in Hessen war es auch recht kalt. Anläßlich einer Rast dachte ich, kalt und dann noch dieser Einrichtungsgeschmack, da würde ich nicht lange überleben.

Völlig dysfunktional angeordnete Gegenstände (in einer Autobahnraststätte!), eingerahmt von einem funktional gekachelten Gastraum, der in eine Art geschmackloses Wohnzimmer mit häßlicher Deckengestaltung übergeht. Man beachte auf dem ersten Bild den Schaukelstuhl, auf dem zweiten Bild den einzigen Gegenstand, der zeigt, daß Form und Funktion keine voneinander sklavisch abhängige Beziehung haben müssen, sondern durchaus unabhängig voneinander zu einem funktionalen und ansehnlichen Miteinander finden können.

Am ersten Abend war Rehgoulasch mit passendem Rotwein geplant. Für zweiteres mußte das nahegelegene Jaques' Weindepot aufgesucht werden, das passenderweise über direkt vor der Ladentüre stehende Glascontainer verfügt, aber auch über einen charmanten Verkäufer, der überflüssigerweise ein Kübelchen bringt, in welchem die Probierreste entsorgt werden dürfen. Für ersteres wurde das Schnabulantienfachgeschäft ebenfalls direkt um die Ecke aufgesucht, wo es außer Wildspezialitäten auch alles andere gibt, was einem die Bucks aus dem oben erwähnten Gegenstand zieht, das aber darüber hinaus noch über eine Kinderspielecke sowie eine ganze Schar liebreizender urfränkischer Verkäuferinnen verfügt, die einem das Geschäft aufgrund ihrer stammkundenorientierten Umgänglichkeit sofort ans Herz wachsen lassen. Und es gab etwas, was max. 7 Blogleser an einen Skisprung-Weltcup in Zakopane erinnern dürfte: Szaszłyk barani.

Der Härtetest während der Ankunft bestand ja eigentlich darin, ohne jegliche Ortskenntnis und Stadtpläne von der Autobahn zum Zielort zu gelangen. Einzige Orientierungshilfe bot die morgens telephonisch erteilte und von der routinierten Pfadfinderin auf nichtklebende Klebezettel der Berliner Zeitung in unleserlichem Pseudosteno notierte Wegbeschreibung, deren Erfolg sich sicherlich dem Umstand verdankt, daß Routenbeschreibungen gut funktionieren, wenn sich räumlich ähnlich denkende Menschen einander Wege beschreiben. Ich könnte niemals mit Wegbeschreibungen zurechtkommen, in denen es Anweisungen gibt wie an der dritten Ampel rechts. Ich kann mich nicht orientieren und gleichzeitig Ampeln, Kreuzungen oder Einmündungen zählen. Aber rechts kommt ein Rewe und links ein, ääh, Blumengeschäft, das ist eindeutig. Auch wenn das Blumengeschäft sich als handfester Großmarkt für Gartenbedarf entpuppt. Ich bin da merkmalsorientiert. Klappte jedenfalls super, und schon bald konnten wir eine opulente Dachterasse, diverse gekühlte Getränke sowie eine botanische Besonderheit bewundern: den Freitagtaschenbaum:

Aber zurück zur Essensfrage. Vorspeise war, ja, Namen hatte es keinen, aber es bestand aus professionell zurechtgeschnitzten Äpfeln, Ziegenkäse, der da drauflag, Rohrzucker, der auf dem Käse drauflag, Calvados, der auf den Zucker geträufelt wurde, Thymian, der auf dem Rohrzucker drauflag, und einem heißen Ofen, in welchem die leckere Vorspeise für eine gewisse Zeit verschwand. Auf jeden Fall zur Nachahmung empfohlen. Es empfiehlt sich weiterhin die Anwesenheit einer möglichst weiblichen studentischen Hilfskraft, die den störrischen Thymian entbeint, und der entsprechenden Hilfskraft empfiehlt sich ein guter Draht zur Gleichstellungsbeauftragten, um die Ausbeutung der Arbeitskraft entsprechend anzuprangern.

Ganz in der Nähe der Behausung befindet sich der St.Johannis-Friedhof, und ich hielt es zunächst für einen Witz, daß ein Besuch des Friedhofs auf dem sorgfältig zusammengestellten Programm stand. Aber es handelt sich in der Tat um einen sehr sehenswerten Friedhof, und das nicht nur, weil ich unversehens erstmalig einer gerade stattfindenden katholischen Sargbestattung mit allem Drum und Dran samt kesselschwingen und Brimborium von weitem beiwohnen konnte - und wie Max Goldt bin ich mitnichten eine Brimboriumsverächterin. Das tolle am Friedhof is described in detail elsewhere. Es regnete, der Friedhofserklärer konnte mit seiner schönen neuen Regenjacke angeben, der Friedhof sah sehr schön aus mit den blumengeschmückten Hochgräbern. Ach ja, und Albrecht Dürer, das wußte ich gar nicht, war aus Nürnberg oder in Nürnberg oder beides, jetzt jedenfalls isser dort, denn begraben:

Auf einem der zahlreichen Plätze der Stadt befindet sich ein derart verfehlter Brunnen, daß er zum Eigenschutz eingezäunt werden mußte, und in dem Zaun ist eine Art Ring, die man irgendwie drehen muß, und dabei muß man sich was wünschen, und falls das einem nicht schon total interferiert, weil man so viele Dinge gleichzeitig machen muß, dann geht das wohl in Erfüllung... wie dem auch sei, entweder gehts nicht in Erfüllung, oder ich war nicht richtig konzentriert, weil ich daran denken mußte, an wievielen europäischen Brunnen ich schon irgendwelchen Unsinn gemacht habe, weil man das als doofi-Tourist eben machen muß, so wie man in Prag dem heiligen Nepomuk an den abgegriffenen Bauch grapscht, so wie alle anderen doofi-Touristen vor einem auch schon. Falls es in Berlin so einen Grapschort gibt, ist er mir völlig unbekannt und gleichzeitig schnurzpiepe.

Aber ansonsten vorbildlich, dieses Nürnberg. Liegt an einem Fluß, der es in Sachen Ausdehnung jederzeit mit der Spree aufnehmen kann und gleichzeitig, wenn man die Brückenhöhen anschaut, wesentlich gefährlicher als jene werden kann, scheints. Anders als im blöden Baden-Württemberg gibt es hier auch eine natürliche Begabung der Eingeborenen, an reizvollen Stellen Lokale zu errichten, in denen man prima Kaffeetrinken, auf den Fluß schauen und neue Studien planen kann.

Dann, fürs back-to-zero, ein keuscher Blick durch diese vermutlich eher unkeusche Fensterscheibe auf etwas, das unter Männern Kicker genannt werden würde, wenn es nicht mit Glitzer und Leopardenfell ausgestattet wäre. Nette Damen aus Hannover dürfen auch Krökelbetätigungseinheit dazu sagen und dergleichen für therapeutische Zwecke auf Steuerzahlerkosten anschaffen lassen. Auch in Rosa. Bloß die Bälle, die gehen so gar nicht.

Abschließend sei das Gasthaus Braun erwähnt. Ich kenne mindestens ein bis zwei Personen, die dort einmal essen gehen würden, dann das gesamte Lokal samt Köchin und Kellnerin einpacken und in der Boxhagener Straße 88 wieder auspacken würden. Das war so das Gegenteil von den länderverseuchenden sogenannten Italienern, wo es hundertfünfzig Gerichte, aber kein mediterranes Essen gibt. Es gab Antipasti, Primo, Segundo und Dolce, auf einer handgeschriebenen und unleserlichen Karte, auf der nur mit Originalbezeichnungen gearbeitet wurde und die gleichzeitig sehr übersichtlich war - pro Kategorie ca. 5 Gerichte, die einem die mehr als charmante Kellnerin nicht müde wurde zu erklären. Und lecker. Und so spartanisch und gleichzeitig gut eingerichtet, wie es im Süden in echt nunmal oft ist, im Gegensatz zu den hierzulande üblichen Gipstropfsteinhöhlen mit Schmalzmusik. Im Braun gabs natürlich gar keine Musik, wie sich das für einen Essenstempel auch gehört.


Also, war eine feine Sache. Das Arbeitstreffen, die Teambildung und Nürnberg an sich. Es ist immer wieder angenehm zu spüren, daß es auch andere Menschen auf der Welt gibt, die je nach Definition auch verrückt sind und trotzdem (oder vermutlich gerade deswegen) mit einem auf einer Wellenlänge sind, und das kann sich sogar auf Ge- oder Mißlingen solcher Klausurtagungen auswirken. Denn egal wie groß die Herberge, ein Lagerkoller kann sich bei fünf Tagen durchaus ausbilden, aber den hatte keiner von uns, es war alles sehr entspannt und ohne die schleppige Gruppendynamik, die (entgegen ihrem eigentlichen Potential) schnell entsteht, wenn sechs Personen duschen, frühstücken, losgehen, Dinge erledigen wollen.

1 Kommentar:

ipse dixit hat gesagt…

Wenn ich mir das Foto vom Gasthaus Braun so anschaue kommts mir vor, als wären wir zum DGPS-Kongress auch da gewesen. Die Euphorie und den Wunsch, das Restaurant samt Bedienung nach Berlin umzuwurzeln kann ich bedenkenlos teilen!