Sonntag, 13. Juli 2008

Gescheiterter Versuch der Abwerbung

Geh' ich vorhin so zur Bahn und seh an der Kreuzung schon eine Frau, die einem Prospekt für mustergültige Christenweiber entsprungen sein dürfte. Kopftuch, Korb, Rock, blitzeblaue Augen, blondes Haar, kerngesund. Ich vergesse sie sofort wieder, aber nicht für lange, denn plötzlich eilt sie über die Straße und spricht mich von der Seite an, wo die Siegfriedstraße sei. Ganz genau weiß ich es auch nicht, ich zähle die Querstraßen an den Fingern ab: Siechenmarschstraße, Friedrichstraße, Weststraße, dann müßte die Siegfriedstraße kommen. Unbeirrt läuft sie weiter neben mir her, kritischer Blick, Sind Sie Studentin? Ja. Und was studieren Sie? Psychologie. Um Gottes Willen, hören Sie damit auf! Ich denke gar nicht dran, ich finds eher sehr toll und überhaupt nicht schädlich oder was. Hören Sie auf damit, wir brauchen Menschen, die etwas herstellen. Möbel, Kleidung, Nahrung, Schuhe, ich muß Schuhe aus Synthetik tragen, entsetzlich, oder Decken, wir haben Decken aus Synthetik, im Winter merkt man die schädliche Wirkung nicht so, aber nun, im Sommer, ist es warm, man schwitzt, entsetzlich, also hören Sie auf mit der Psychologie, wir brauchen Menschen, die Dinge herstellen, die wir brauchen, um gesund zu bleiben, wer braucht schon Psychologen! Können Sie einem Menschen helfen, der alkoholkrank und drogenabhängig ist und sich ständig suizidieren will? Können Sie das? Jesus Christus kann das. Jesus Christus kann diesen Menschen helfen [...] - An dieser Stelle hatten wir dann die Weststraße erreicht, und ich konnte erleichtert zur Bahn abbiegen.

Das Ganze war gar nicht so sehr an mich persönlich gerichtet, es wirkte eher wie eine oft gehaltene, nur minimal den jeweiligen Umständen angepaßte Litanei, monoton und laut heruntergeleiert, auf einer sonntäglichen Straße mitten in Bielefeld.

Besonders erfolgreich war sie nicht, jedenfalls nicht bei mir. Vielleicht kam sie grad aus dem Tempel, in dem sich ihre Sekte sonntäglich zu versammeln pflegt, und mußte ihrer Erregung über die unhaltbaren Zustände auf dem Versorgungsmarkt Raum geben. Was es doch alles gibt.

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