Mittwoch, 25. Juni 2008

Wie es geschah

[Versuch objektiver Berichterstattung aus einer objektiven Stadt]

Der bislang jeglicher Volkstümelei unverdächtig gebliebene und vor allem allen Nationalfarben abhold gebliebene Berichterstatter berichterstattet sein quasi objektives Erleben des ersten Finaleinzugs der Nationalmannschaft seit, seit, naja, seit er sich überhaupt für Fußballturniere interessiert, bzw. sie.

Eine unverdächtige Runde trifft sich in einer konspirativen Wohnung in einer vor allem durch Unauffälligkeit glänzenden Stadt. Auf dem Tisch stehen Knabbereien. Eine XXL-Pizza rettet vor dem Hungertod. Bier umspült die Synapsen und dockt heimlich an diversen Rezeptoren an. Béla Réthy knackt mit den Fingergelenken und gurgelt noch einmal mit Statistikwässerchen und Wortwitzspülung. Es kann losgehen, und soviel ist sicher: es dauert mindestens 90 Minuten, gezählt wird aufm Platz, und einer fährt hier nach Hause. Hoffentlich nicht "Unsere". Schon hängt mir plastenes schwarz-rot-goldenes oder vielleicht doch -gelbes am Handgelenk, das juckt, macht aber keine roten Stellen, also bleibts dran.

Der Gegner hat sich auf unsere Spielweise gut eingestellt, und eine andere haben wir gerade nicht dabei. Das quält und dehnt die Sekunden. Auf dem Sofa sitzen zwei Experten, zweifellos die nächsten Bundestrainer. Sie wissen, was zu tun ist. Über die Außen, im Mittelfeld frühzeitig stören und genauer spielen, natürlich. Dann fällt Philip Lahm am Sechzehner. Philipp Lahm kann nur durch ein Foul gefallen sein, das weiß jeder auf der nördlichen Halbkugel, und es ist auch sehr gut zu sehen, daß das ein Foul, ein Foul war. Aber das ist die EM der nichtgegebenen Freistöße und vor allem Elfmeter, und dann ist das eben so, dann muß man anders gewinnen.

Es ist nicht zum Ansehen. Man versucht, den Gegner auf herkömmliche Weise zu beschimpfen, ohne den anwesenden Minderjährigen Gelegenheit zum Lernen von rassistischen Äußerungen am Modell zu geben. Über das erste Tor gehen wir hinweg. Das Gegentor kommt schnell, Rolfes platzt die Augenbraue, Frings läuft, alle nehmen sich zusammen, Halbzeit, durchatmen, aber richtige Ruhe will sich nicht einstellen.

Es ist genau wie gegen Portugal, nur umgekehrt: gegen einen vermeintlich stärkeren Gegner hat man nicht viel zu verlieren, da kann man auch aufdrehen. Unsere machen einen Fehler nach dem anderen. Vor allem machen sie zuviel Platz.

Der Angstgegner, der, diese Information verdanke ich Statistik-Béla, bis zum heutigen Spiel lediglich neun Minuten in Führung lag (insgesamt), läßt dem Trainergespann auf dem Sofa keine Ruhe. Die Kommentare werden immer unzitierbarer, aber zutreffender. Dann fallen Bild und Ton aus. "Wir bitten um ein wenig Geduld." Gottlob ist man nicht auf der Alm beim Public viewing, sondern in der geschützten Privatsphäre der geschätzten Privatsphärenteilerin, auf dem Sofa. Das Radio wird eingeschaltet, aber da ist schon ein sichtlich mit Ohnesichtreportage überforderter Béla Réthy zu hören, der zunächst vom 35jährigen Torwart faselt, um dann nahtlos zu den schwarzen Wolken über Basel überzugehen, die man vorher trotz Bild auch nicht sehen konnte, da sie im Bildausschnitt praktisch nicht vorkamen. Aber egal. Der Ton kommt zeitverzögert. Als der Reporter "Klose" ruft, hat der den Ball noch gar nicht angenommen.

Und Lahm. Wenn er mal leider doch einen Fehler macht, dann schießt er wenigstens gleich wieder ein Tor. Das Siegtor. Nachdem Bild und Ton wieder wegwaren und der leidige Réthy via Telephon und Schweizer Fernsehen nicht mehr ganz live berichtete. Nachdem das Trainerduo diverse Infarkte und Neuronenverluste erlitt. Gefühlt mehrmals starb. Sich dankbar zeigte, daß es nicht noch Verlängerung und Elfmeterschießen gab; so jung und strapazierfähig ist man dann eben auch nicht mehr.

Und die Voraussagen Minderjähriger wurden zuverlässig Wahrheit.

...

Die Geräusche, die von draußen durchs noch geöffnete Fenster dringen, lassen eine unruhige Nacht vorausahnen. Thank you for the Schallschutzfenster. Und die gesungenen Weisen erscheinen inhaltlich ganz schön öd. Fi-na-le, Deutschland, *gröl*, *hup*, *nochmalhup* usw.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

die schublade ist schoen