Abgesehen davon, daß acht Stunden in einem Hörsaal einfach anstrengend sind, selbst wenn es um etwas dermaßen attraktiv-interessantes wie das Stirnhirn geht, ist der Seminarbesuch für mich trotz, oder wahrscheinlich gerade aufgrund relativ umfangreichen Vorwissens sehr lohnend. Schön, daß wir nochmal über das Gedächtnis gesprochen haben; super der relativ umfangreiche Entscheidungsverhalten-Block, in dessen Rahmen mir endlich mal das berühmte (Nicht-)Modell aus dem Neural-Networks-Paper aus nahester Quelle (und auf deutsch) vernünftig erklärt wurde. Wenn ich mich daran erinnere, wie viele Stunden ich im letzten Jahr allein dieses Modell angestarrt habe, in der Hoffnung, relevante Informationen für unsere eigene Studie und später für den entsprechenden Bericht daraus abzuleiten! Furchtbar! Jetzt ist alles klar.
Unser eigenes Referat war auch ganz gut, sicherlich nicht Höchstklasse (im Vergleich zu den beiden klinischen Linguistinnen, die ein ganz formidables und kompetentes Referat zur funktionell-anatomischen Einteilung des präfrontalen Cortex bezüglich des episodischen Gedächtnisses hielten), aber solide und großteils von inhaltlicher Kompetenz geprägt. (Aus meiner geringen Referate-Erfahrung lerne ich zumindest klar und deutlich, Referate mit möglichst großer fachlicher Kompetenz zu halten. Das minimiert die Rest-Unsicherheit, die man ja selbst bei einigermaßen guter Vorbereitung hat und die sich auch immer auf die Performance während des Vortrags auswirkt.)
Da zumindest angeblich alle Seminarteilnehmer (männlichen und weiblichen Geschlechts) bereits die Game of Dice Task kannten, durfte ich als Vorführversuchsperson herhalten ("Du kennst die GDT schon so gut, daß du tatsächlich so tun könntest, als kenntest du sie gar nicht!"). Schade, daß ich die Reihenfolge, in der die Zahlen gewürfelt werden, nicht auswendig weiß. Damit hätte ich natürlich Furore machen können. Immerhin: MB war so nett, mich als 22jährig einzutragen, da hatte ich die Lacher auf meiner Seite, als ich Danke sagte.
Es war dann doch nicht nur Wiederholung und Konsolidierung: MB stellte auch den TKS - Test zum kognitiven Schätzen vor, dessen deutsche Version von ihm und Kessler und Markowitsch ist und über den er auch promoviert hat (Kognitives Schätzen bei Alzheimer- und Wernicke-Korsakow-Patienten). Interessanterweise hat, zumindest seines Wissens nach, noch niemand das Ding bei Parkinson-Patienten eingesetzt, obwohl es nach dem, was ich bei Oliver Sacks über das Zeit- und Größenempfinden von Patienten mit Morbus Parkinson gelesen habe, ziemlich interessant sein dürfte. Immerhin vermutet Sacks fremde und schwer vorstellbare Raum- und Zeitbezüge bei den Patienten und berichtet einige interessante Belege beispielsweise von Patienten, die keine stabilen Parkinson-Symptome zeigen, sondern (vermutlich auch abhängig von der Medikamentation) heute so und morgen so drauf sind (und dann am nächsten Tag auch einsehen, daß sie mit absolut winziger Handschrift irgendwas zu Papier gebracht haben, wobei ihnen im Moment des Schreibens die Schriftgröße absolut normal erschien). Für Sacks bewegen sich diese Patienten in einem gleichsam gekrümmten Raum, wie ihn Einstein sich wahrscheinlich vorstellte (und vor allem vorstellen konnte!), in dem unsere logischen, vermeintlich einfachen Gesetze von Raum und Zeit aufgelöst sind. Wie auch immer - das ist hochspannend.
Etwas überraschend, eher zu kurz und ebenfalls hochinteressant der Exkurs zu den Gehirnen von Straftätern, und mehr noch als die bloßen Informationen (die in "Tatort Gehirn" logischerweise eh viel umfassender beschrieben sind) entzückte mich mal wieder MBs sehr vorsichtige, extrem zurückhaltende, an unhaltbaren, glatteisigen Interpretationen sparende Sicht und Vermittlung der Dinge. Ja, man findet relativ konsistent vermindert aktive Frontallappenregionen bei Personen mit erhöhten Psychopathie-Werten bzw. antisozialer Persönlichkeitsstörung bzw. Mördern. Aber wie so oft weiß man nicht, was zuerst da war - ein vermindert aktives Stirnhirn, wodurch es zu antisozialen Verhaltensweisen kommt, oder die begangenen Verbrechen, in deren Folge sich das Stirnhirn in seiner Tätigkeit zurückgezogen hat? MB ruft da vehement zur Zurückhaltung auf, und das ist grade im Rahmen eines Seminars an einer Universität nicht nur angebracht, sondern auch vorbildlich.
Am besten, das nur am Rande, war der neuerliche Querverweis vom serotonergen System zum Zustand der Verliebtheit. (Serotonin-Minderungen werden bei einigen Störungsbildern berichtet: Major Depression, verschiedene Psychosen usw.) "Wenn man sich frisch verliebt, geht auch das mit einem verminderten Serotonin-Spiegel einher. Das heißt, man hat kurzfristig vielleicht ein paar angenehme Erlebnisse, aber langfristig läßt man sich auf etwas ein, das eigentlich nur irrational und bescheuert ist."
"Bei Suppe denke ich immer an flüssig."
"Die Patienten haben Schwierigkeiten, ihr Verhalten zu enthemmen."
"Jetzt bemühe ich mich mal um eine kurze Antwort: Ja, kann sein."
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