Samstag, 6. März 2010

Herr B. und Herr C.

Gewaltig ist die Angst vor der Demenz, dabei ist sie mitnichten das einzige, das uns ereilen kann und uns alles nimmt, was uns teuer ist: das Gedächtnis, die Intelligenz, die Freude und den Schmerz. Herr C. wartet bereits auf dem Flur, in Begleitung seiner asiatisch anmutenden, zierlichen Frau, die draußen auf ihn warten wird. Er trägt einen gleichfalls asiatisch anmutenden Morgenmantel aus schwerer, bestickter Seide. Der Dialekt ist gefärbt, vermutlich hessisch, der Mann ist, wie es im internistischen Befund heißt, "von adipösem Ernährungszustand", überhaupt stehen in diesen Befunden immer Intima über die Patienten drin, als sollten diese jene nicht lesen! Mindestens vier Sprachen spricht er, außer deutsch, er ist im Auswärtigen Amt, er hat sein Leben dem diplomatischen Dienst gewidmet (und gleich denke ich an meine eigenen Bekannten, die in irgendeiner Form mit Diplomatie in Berührung kamen oder sind), er war in verschiedenen arabischen Ländern und in der Sowjetunion und später Russland, Sibirien; seine Frau ist aus der Mongolei. Eine Enzephalitis unterbrach den Dienst in Saudi-Arabien, der Diplomat wird per Learjet nach Deutschland geflogen, er behält sich eine symptomatische Epilepsie, wegen der er gerade in der Charité liegt. Ob sie ihn nochmal hinbekommen, daß er wieder arbeiten kann?

Herr B. ist vergeßlich; findet manchmal den Weg zurück nicht, wenn er spazieren geht; Krimis sind ihm zu schnell, er kann oft nicht folgen und hat Schwierigkeiten, sich die Gesichter einzuprägen. Daß es mir genauso geht, ließ er nicht gelten! Auch er hat sein Leben lang gearbeitet; er hat eine geheimnisvoll klingende Berufsbezeichnung namens Lichtpauser erworben und dann eigentlich immer auf dem Bau gearbeitet. 1973 hat er der DDR mit Frau und Kind den Rücken gekehrt. Sein Fluchtgerät sei im Museum in der Friedrichstraße ausgestellt, das muß ich mir noch angucken! Und auf die Frage, ob seine Frau oder beide gemeinsam den Haushalt führen würden, guckt er mich groß an und sagt Das mache ich! Er sei bereits früh verwitwet und habe sich dann zehn Jahre mit dem Kind allein durchgeschlagen, zu einer Zeit, in der ein alleinerziehender Vater mit Sicherheit überhaupt nicht hip war, und seither sei er ein ausgesprochener Hausmann, gerade, daß seine Frau Wünsche äußern dürfe. Ein ganz und gar "unsoftiger" Typ, nett, aber von normal männlicher Erscheinung. Hätte man einfach nicht gedacht (und dann im Vergleich der 73jährige, der angibt, seit seiner Verwitwung in Thailand mit zwei Frauen in einem Haushalt zu leben, den die Damen führten, oder mein Lieblingsparkinsoner, der meistenteils bei seiner Frau lebte und dazu noch einen eigenen Haushalt hatte, wo er hingehen könne, wenn seine Frau zu anstrengend wird (oder er der Frau), und beide Haushalte wurden allein von der Frau geführt).

Ich habe gemerkt, daß es mir egal ist, ob einer mit den Händen oder mit seinem Hirn Geld verdient und Werte schafft (und ob diese Werte geistiger oder monetärer Art sind). Manche der Handarbeiter brachten ein reges Interesse und eine gewisse Furchtlosigkeit mit oder überraschten mit eigenwilligen Lebenskonstellationen. Die meisten meiner Patienten waren mir sympathisch, und die, die es nicht waren, brachten ein ganzes Bündel an antipathierelevanten Eigenschaften mit. Sympathie kam immer auf, wenn die Leute in ihrem Leben immer das beste draus gemacht haben, gekämpft, wenn zu kämpfen war, und hingenommen, wenn die Umstände nicht zu ändern waren. Einer sagte, ich nehme diese Beeinträchtigungen nicht einfach hin; ich will wissen, was es ist und was man dagegen tun kann. Auch wenn es nicht heilbar ist, will ich es dennoch wissen: ob ich es hinzunehmen oder zu bekämpfen habe.

Schlußendlich, wenn ich es mir recht überlege, können Herr B. und Herr C. nur hinnehmen: das Alter bzw. die Enzephalitis. Trotzdem sind sie in der Charité: um die Möglichkeiten auszuschöpfen, und das ist richtig so. (Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.)

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