Dienstag, 12. Januar 2010

Go neuro

Heute war Frühbesprechung.

Das ist so eine Art Teamtreffen, einmal in der Woche, wo der Chef und seine Granden zum Rapport bitten vortanzen lassen, und alle haben was davon.

Heute gab es eine Fallkonferenz, d.h. der Doktor mit der unleserlichen Handschrift (wir üben uns regelmäßig in graphologischen Gutachten) stellte eine Patientin vor, die ein seltenes Syndrom mit dem schönen Namen Bálint-Syndrom zu haben scheint, vielleicht ist es aber auch was ganz anderes, höchstwahrscheinlich aber immerhin keine Alzheimer-Demenz.

Prinzipiell war die Veranstaltung offensichtlich dafür gedacht, mir den Sex-Appeal von Neurologen vorzuführen. Im Ernst: Der Chef und seine beiden Helferlein sitzen da durchaus wie die beiden alten Herren in der Muppetshow (bloß daß sie nicht alt sind). Und aber, neue Generationen eroberten Chefarztsessel, die Gesprächsführung ist kooperativ und konstruktiv, von Alphatiergehabe ist nichts zu spüren. Witzigerweise wird eine kleinere Runde im Benjamin-Franklin-Krankenhaus Steglitz, das der Charité angegliedert wurde, per Skype zugeschaltet. "Hallo, Steglitz, könnt ihr uns hören?", brachte heute ein paar Lacher (trotz der frühen Stunde).

Dann hatte ich meinen zweiten Patienten. Meine erste Patientin gestern litt vor allem unter Logorrhoe, d.h. mehr leidet ja in der Regel die Umwelt, in diesem Falle also ich. Diese Logorrhoe war auch auf dem Anmeldungszettelchen von Dr. Herbst, dem Mann, dem Graphologinnen nicht vertrauen, hübsch unter Besonderheiten vermerkt. Lesbar. Der heutige Patient war insofern nett, als daß er trotz seines erheblich fortgeschrittenen Alters nicht nur nicht dement, sondern überhaupt erfrischend aktiv und lebendig war. Fragen nach dem Datum und dem Stadtbezirk  konnte er besser beantworten als so mancher Sechzigjähriger in den letzten Tagen, und bei der Frage nach der Bundeskanzlerin fragte er vor der korrekten Antwort schmunzelnd, ob er das wirklich wissen müsse. Ach, der war schon sehr fit! Morgens im Bett mache er immer seine Gymnastik, "allein, nicht was Sie vielleicht denken", was auch immer ich mir unter morgendlich allein im Bett durchgeführter Gymnastik vorstellen mochte. Er nahm ASS und Gingko-Präparate ein. Wahrscheinlich braucht man ein überdurchschnittliches Ausgangsniveau, ein paar Pseudo-Gedächtnispillen und regelmäßige Gymnastik, und dann wird man nicht dement und bleibt sogar nett, insofern man jeden Morgen für sich und die Frau das Frühstück bereitet. Letzte Woche hingegen war einer im ähnlichen Alter da, den hatte es schon schwer erwischt. Jetzt habe ich mal den Unterschied gesehen - in der Jugend kannst du die Leute nach Jahrgängen klassifizieren. Im Alter ist die Leistungsfähigkeit viel variabler, und das, obwohl ja einige auch schon gestorben sind!

Morgen bin ich wieder im Virchow. Also, man muß mir immer eine Woche mit möglichst wenig Anforderungen geben, und dann wird schnell alles gut. Aber zwei Tage lang zweifle ich selber daran, ob es so eine gute Idee war, mich als Praktikantin zu nehmen ;-).

Schneller noch als in die Praktikantinnenrolle zu schlüpfen habe ich mich an Berlin gewöhnt und daran, hier unterwegs zu sein. Und das trotz der Schneeberge! Keine Passanten kommen mir ins Gehege. Ich achte grad extra drauf, aber niente. Man kann intuitiv besser überholen, selbst bei den eingeschränkten Verhältnissen auf den teilgeräumten, eher festgetrampelten Bürgersteigen. Und überhaupt wächst meine Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit rapide. Überallher kommen Informationen, und sie werden knackig verarbeitet und integriert. Eine Fähigkeit, die in Bielefeld offensichtlich verkümmert und hier nun wieder zu neuem Leben erwacht.

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