Berlin ist kalt. Überall stapelt sich der Schnee, und niemand macht sich mehr die Mühe, ihn irgendwie wegzuschaffen. Man hat einfach abgewartet, bis er festgetrampelt wurde und in Verbindung mit einigen Splitkörnchen eine einigermaßen zuverlässig begehbare Oberfläche gebildet hat.
Das Bettenhochhaus der Charité in der Luisenstraße ist nicht ganz so alt wie ich, sieht aber von außen wesentlich ramponierter aus, wenn ich das in aller Bescheidenheit so sagen darf. Wenn man drinnen arbeitet, kriegt man vom ramponierten Äußeren aber nichts mit und kann dafür ganz ungeniert einen herrlichen Ausblick auf alles genießen - Hauptbahnhof, Reichstag, Potsdamer Platz, Regierungsviertel und alles, bis zum Turm vom Flughafen Tempelhof. Innen ist auch alles - Patienten, deren Besucher, Studenten, Praktikanten, Ärzte, Pfleger, Assistenten, Putzfrauen (bei den anderen sind auch Frauen dabei); im Fahrstuhl wird gegrüßt; in der Verwaltung herrscht die gefährliche Mischung aus DDR, Preußentum und Berliner Schnauze.
Schon nach drei Tagen und vier Patienten, die ich selber zu Gesicht bekommen habe, spüre ich, wie sehr diese Wende und der nachfolgende Anschluß an die BRD Biographien und Vertrauen zerstört haben. Die wollten mich nich mehr, die wollten uns bloß loswerden, die hatten dann keene Verwendung mehr für uns, die ham mich vorher rausjeschmissen. Diese Menschen sind deswegen nicht depressiv oder verzweifelt; sie beklagen sich nicht - aber eins ist klar: die Fete 1989 war den Kater 1990 ff. nicht wert.
Meine Chefin mag die Berliner nicht, und schon gar nicht die aus dem Osten. Sie sagt, sie hätten Schnauze, aber kein Herz. Ich sehe das naturgemäß anders, und ich entdecke auch immer wieder Beispiele (genauso, wie sie wahrscheinlich auch immer Beispiele, die ihre Hypothese untermauern, findet). Ich bin froh, hier zu sein und ausgerechnet hier erstmals ernsthaften Patientenkontakt zu haben, wo ich dann wenigstens die Hintergründe und Geschichten ohne weiteres nachvollziehen kann. Ich jedenfalls mag die Berliner, die einem wenigstens nicht vor den Füßen rumhampeln, sondern in der Regel wissen, wohin sie wollen, und das auch zügig in die Tat umsetzen. Sie haben praktische, witterungsgemäße Kleidung an, weswegen ihnen häufig mangelndes Modebewußtsein nachgesagt wird. Was für ein lächerlicher Einwand! Als wenn Modebewußtsein irgendein höheres, erstrebenswertes Ziel wäre, im Vergleich zu keine Lungenentzündung. Gut aussehen kann man auch in alten Skijacken, sofern man gut aussieht. Wenn man nicht gut aussieht, machts eine dünne BOSS-Jacke auch nicht wett. Ach, und ich berliner natürlich wie wild. Die Prinzessin wird sich freuen.
Die als inspirierend erwartete WG mit Finnin und Italienerin war bislang zur Hälfte nicht vorhanden (in Form der erst morgen eintreffenden Italienerin) und zum Teil anstrengend, weil die Finnin einen finnischen Freund da hatte, der anstrengend war (und der von ihr auch als anstrengend empfunden wurde), und zudem ebenbesagte Finnin auch an jeder Ecke und zu jeder Uhrzeit mitteilt, wie sie und Erika es mit den Haaren im Duschabfluß halten würden und daß sie nunmehr nicht wüßte, wo sie ihr Handtuch hinhängen sollte. Da mein Englisch noch eingeschränkter ist als auch schon, wenn ich selber angeschlagen bin, habe ich viele ihrer Informationen noch gar nicht richtig verstanden, und das ist wahrscheinlich gut so. Von wegen schweigsame Finnen... puuuuh.
1 Kommentar:
hehehe - reminiszenzen!
wurdest du schon in die neurologischen regionalsyndrome eingeführt, morbus dahlem und morbus wedding? zumindest da ist nichts von ost-west-sympathiegefälle erkennbar...
die ostberliner wendeopfer hab ich dort auch kennen und, naja, schätzen gelernt. durchaus sympathische zeitgenossen.
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