Güstrow. Das ist ein Stückchen südlich von Rostock, nicht weit von der A19, inmitten malerischster Hügel, Felder und Seen gelegen. Ein Landstrich, der schon immer zu den ärmsten gehörte, weil es außer der Saat und den Kartoffeln auf dem Feld und dem Kanonenfutter in der Kate daheim einfach nichts zu holen gab. Dicke Kirchen haben die Mecklenburger gebaut, die an der Küste als Seezeichen dienten; die Funktion der dicken Türme in Güstrow bleibt unbekannt, aber um den Dom kümmern sich rührende alte Damen mit Lageplan und allem, und der Schwebende von Ernst Barlach hängt immerhin drinnen an der Decke. Auf dem Marktplatz ist direkt neben die dicke Marienkirche das Rathaus gebaut, das sich erst beim zweiten oder dritten Blick als mit rosa Fassade ausgestattet entpuppt. Nachts steht auf dem Marktplatz ein hessischer Tourist und erklärt seinem schweigsamen Begleiter, daß die renovierten alten Häuser das Kapital von Städten wie Güstrow sei; im Westen hätte der Aufschwung seinerzeit notwendigerweise zu Abriß und Neubau geführt, und jetzt hat man den touristischen Salat. Überhaupt ist die Stadt bevölkert von Einheimischen und Busreisenden und Jugendlichen mit Kindern. Die Busreisenden sitzen schon mal im Restaurant und werden nicht müde beim Berichten über die Zuckerzusatzgepflogenheiten einzelner Völker sowie das eigene Befinden vor, während und nach dem Genuß von Zucker (Traubenzucker ist kein Problem).
Zeit, ein paar Worte zu verlieren über die Ernährung in Mecklenburg. Liebe Mecklenburger! Früher hattet ihr nichts zu essen, und das wenige, was da war, nahm euch ein zu Recht übel beleumundeter Gutsherr ab. Doch heute ist das anders! Was der Gast nicht aufißt, wird weggeschmissen, ist aber zuvor von euch bezahlt worden! Daher, lerne!, machet ihr einfach kleinere Portionen. Zum gleichen Preis, keiner würde es merken, denn das Essen bei euch ist lächerlich billig. Ihr werdet merken, daß alle Seiten glücklicher sind.
Güstrow kann man nach zwei Tagen auswendig. Es verfügt über einen Dom (Barlach) und ein seltenes Renaissance-Schloß nebst Garten, der einen natürlich gewachsenen Wandelgang aus Buchsbaumhecke als Hauptattraktion aufweisen kann. Ferner gibt es einen vorbildlich restaurierten Marktplatz und drumherum einen Haufen in sich zusammenfallender Gebäude, für deren Erhalt sich offensichtlich keine Subvention gefunden hat. Es gibt ein paar einheimische Lokale, die lecker Essen, aber keinerlei Gemütlichkeit feilbieten, und eine Kneipe in einer alten Scheune, in der Radio Sputnik gesendet wird und das ortsansässige Jugendtum Geburtstage feiert. Allenthalben bekommt man zumindest eins der beiden Lokalmatadorenbiere Lübzer oder Rostocker ausgeschenkt und osttypisches Würzfleisch ausgehändigt. Es gibt sehr viele Apotheken, Bäckereien (alles Ketten), Schulen (teils im Renovierungsprozeß begriffen) und Schuhläden. Es gibt sehr wenige offene Nazis, wie man am NPD-Stand auf dem Pferdemarkt sehen konnte. Im Prinzip standen am Stand ein paar Prügelbrüder aus dem Nazi-Bilderbuch und ein paar Volksgenossinnen-Bratzen, und man wünschte den Ärmsten, daß sie zumindest zusammen auf einen zweistelligen, positiven, IQ kommen. Sonst war da niemand, außer das unauffällige Polizeiauto im Hintergrund.
Wir ließen uns von einem herbeigerufenen Taxi zu der Ferienwohnung von Kumpanen kutschieren, und es war wahrscheinlich kein großer Zufall, daß uns derselbe Taxifahrer Stunden später zurückbeförderte. Wir brauchten die Schlampe* nicht mehr, weil wir Güstrow mitsamt seinen durchquerenden und umschließenden Bundesstraßen auswendig wußten. Es kam vor, daß wir die Schlampe korrigierten. Wir kannten uns aus.
Highlight war der Tag in Warnemünde. Bewaffnet mit zwei kleinwüchsigen Kindern (2,5 bzw. 4,5 Jahre) samt dazugehöriger Eltern und einem südafrikanischen Paar enterten wir die Rentnerhochburg "Alter Strom" mithilfe eines Leihbollerwagens. Der, eigentlich dazu gedacht, die Kinder drin herumzutransportieren, mutierte schnell zum Brüder-eifern-einander-nach-und-stacheln-sich-an - ICH WILL ZIEHEN, ICH BIN JETZT DRAN!! Aber es gab auch andere Sehenswürdigkeiten. So stapften wir mit besagten Kleinkindern auf den Leuchtturm. Windig war es, und die Eltern saßen unten. Trotzdem waren alle tapfer und genossen die Aussicht auf die von unten noch gar nicht sichtbare Schwedenfähre. Überhaupt Schiffe gab es wirklich viele, obwohl wir ja nicht mal richtig im Hafen waren. Am Ende konnte der Große seiner Mutter noch stolz ein Piratenboot präsentieren (Sind das auch echte Piraten? - Naja, die haben alle Schwimmwesten an, also ich glaube nicht.). Kann man sich besseres vorstellen?
Die Hochzeit hat ein eigenes Post verdient; hoffentlich schreibt das auch mal einer. Und Photos fehlen bislang auch, skandalös.
Fahrt alle nach Mecklenburg und entdeckt die unaufregenden Reize dieses schönen Landstrichs. Es ist weder lieblich noch anbiedernd dort, aber als eigen denkender Mensch findet man dort eine Ästhetik und Freundlichkeit, wie sie möglicherweise selten geworden ist. Nur als Randbeispiel: Ein Hochzeitsgast von eher sehr viel weiter weg angereist beklagte sich über mangelndes Essen in Güstrow. Man habe noch schnell was essen wollen, aber es gab ja nichts. Wir, daraufhin etwas erstaunt, wieso? Güstrow ist doch voll mit Essenkrams? So abfällig könnte ich nicht mal die Prüfungsliteratur in A&O studieren, so kam die Antwort, jaja, Bäckereien habe man auch gesehen, aber man hätte ja so richtig... und dann wars von vorgestern... und, nicht verbal, aber zweifellos vorhanden: Osten eben. Was tun wir hier überhaupt? Hier gibts nicht mal ne anständige Weißwurst zum Frühstück, und ein Weizen einschenken können die schon gar nicht.
Dann geht doch heim und laßt uns in Ruhe. Wir mögen es, ein Würzfleisch für 3,50 vorgesetzt zu bekommen. Wir würden es nicht mögen, in landesüblicher Tracht auf ein nur mühsam als traditionelles Volksfest getarntes Spektakel zu gehen. Aber wir klagen auch nicht drüber.
Photos und Hochzeit folgen.
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