Montag, 16. März 2009

Ich bin ja sonst nicht schadenfroh, aber eben dann doch

Vorweg sei eine kurze Bemerkung über Zeit-Habgier gestattet.

Die Zeithabgierigen sind die, die die lebensverlängernde und -verbessernde Wirkung von Innehalten und Müßiggang nicht begriffen haben und daher bei jedem Verweilen, jeder Warte- und folgerichtig auch Verspätungsminute Gramfalten der Ungeduld und Rastlosigkeit ins Gesicht getrieben bekommen. Sie stürmen bei Rot über Hauptverkehrsstraßen, nicht ohne die entspannt Wartenden mit verächtlich vernichtenden Blicken zu strafen. Sie regen sich im Zug lauthals über fünf Minuten Verspätung auf und sagen dabei Bemerkungen wie Typisch Bahn und Das wars ja mal wieder. Sie drängeln sich in Schlangen vor und antworten auf höfliche Hinweise mit Ich warte schon so lange und ich habs ja so eilig. Sie stürmen unverzüglich den noch nicht ganz zum Stillstand gekommenen Zug, ohne die Aussteigewilligen aussteigen zu lassen. Schlußendlich, um diese beliebig verlängerbare Liste abzuschließen, verlangen sie in der Kaufhalle nach einer weiteren Kasse. Kurzum sind es recht unfreundliche Zeitgenossen, die einen selbst oft warten lassen, weil sie aus Angst vor der unverplanten Viertelstunde ihre Termine so eng legen, daß sie sich häufig abhetzen und doch zu spät kommen. Sie sind eben nur mit ihrer eigenen Zeit habgierig.

Eben war ich im Aldi, und der frühen Abendstunde angemessen war es voll. Vor den zwei geöffneten Kassen staute sich ein ansehnliches Knäuel Zahlungswilliger. Vergnügt beobachtete ich, wie aus der von mir präferierten Schlange ein Subknäuel ausbrach und sich frech an der dritten, unbesetzten Kasse tummelte - bislang hatte niemand nach einer weiteren Kasse gefragt oder geklingelt. (Anstellen, ohne zu wissen, was es überhaupt gibt, kannte man in der DDR. Anstellen, ohne daß überhaupt jemand kassiert, das gibt es nur in Ostwestfalen.) Jedenfalls lächelte ich mir schon schön ins Fäustchen. Hinter mir - weit entfernt vom eigentlichen Ort des Geschehens - fragte jemand den Waren verladenden Filialleiter nach einer weiteren Kasse. Antwort: Es sind zwei Kassen geöffnet. Frage: Und eine dritte? Antwort: Dritte Kasse kann ich nicht aufmachen. (Die Sachlage war also klar.) Ich lachte schon fast. Zumal es in der Schlange trotz unerfahrener Aushilfe oder was sie war recht flott voran ging. Das Subknäuel drüben packte derweil fleißig aus und forderte den einen Kassierer zum Klingeln auf. Währenddessen war ihre Urschlange schon so weit vorangerückt, daß sie eigentlich schon fast selber drangewesen wären. Alle in der Schlange grinsten sich inzwischen halbtot über die WG vom Knäuel, zumal sich inzwischen weitere Personen, dem Herdentrieb folgend, an der unbesetzten Kasse angestellt haben. Eine Weinflasche poltert zu Boden, zerbricht und verströmt ätherischen Dunst. Der Filialleiter kommt herbei und platzt bald. Jetzt gibt es Kopfwäsche, für den klingelnden Kassierer genauso wie für die dreisten Drei aus der Zeithabgier-WG, die dachten, sie seien schlauer als alle anderen. Inzwischen habe ich längst bezahlt und freue mich mit den anderen in meiner Schlange, daß wir auch mal geduldig fünf Minuten warten können, um unsere Tiefkühlwaren und Wasserflaschen zu bezahlen, und lache die dümmlich dreingrinsenden Zeitgeizkragen für ihre monströs vorangetragene Selbstgerechtigkeit und ihr öffentliches Auflaufen mit derselben aus.

Das war mal richtig gut.

Max Goldt, wer sonst, hat dazu mal gemeint: Wenn die Ampel rot ist, bietet ihm der rote Mann einen Zeitsnack an, und er knabbere den Snack gerne.

Dazu habe ich gleich noch eine schöne Geschichte:

Neulich wollte ich im Späti Wein kaufen. Während ich auswähle, kommt eine Frau rein und fragt nach Briefmarken. Der Kioskmann hat natürlich keine, aber ich. 55 Cent wechseln in Bar- bzw. Papierform die Besitzerin, das wars eigentlich. Ein hilfsbereiter Akt. Nun aber, die Weinflasche. Eigentlich ja 4,75 oder so. Sagt der Kioskmann: Ach, sagen wir 4. Du warst ja eben auch nett.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

es ist immer wieder schön, sich hier kurz hinzusetzen, eine kleine flasche beck's wegzulesen und erfreut wieder weiterzuwandern. danke.