Montag, 10. November 2008

Ich weine bittere Tränen...

... um die Großstadtkompetenz der Bielefelder Bevölkerung. Hier leben angeblich 320.000 Einwohner, aber im täglichen Gebrauch hat man es gefühlt mit Kindergartenkindern zu tun. Nicht nur, daß man sich so sehr über die erfolgreiche Bezwingung bzw. unfallfreie Absolvierung einer Rolltreppe freut, daß man erstmal sofort stehenbleiben und den sämtlichen, naturgemäß nachrückenden Verkehr aufhalten und lustig zurückstauen muß. Auch das Konzept Öffentlicher Personennahverkehr, dabei vor allem die Vokabeln öffentlich und Personen, in anderen Städten sich selbst erklärende, intuitiv zugängliche Schemata, sorgt in Bielefeld jeden Morgen und Nachmittag aufs neue für Aufregung. Die erste Regel: bittstellerisch-nonverbal, möglichst durch heftiges Augenklimpern einer Riege Rücken vorgetragener Einlaßwille. Keinesfalls weise man lautstark auf manchmal verborgene, meist aber völlig offensichtliche Freikapazitäten in der Straßenbahn hin. Zweite Regel: wenn man erstmal drin ist, wird niemand sonst mehr reingelassen, egal wieviel Platz innen noch ist. Dritte Regel: man sei stets panisch ängstlich, daß man es an der avisierten Aussteigehaltestelle nicht schaffen wird, infolge Einkeilungen die Bahn zu verlassen. Daß gefühlt 98% der frühmorgendlichen Fahrgäste auch an der Universität aussteigen, ist nur ein bösartiges Gerücht, daß angeblich Statistiker in die Luft gestreut haben. Hach! Und die vierte Regel besagt, daß man es allen zumuten würde, einfach doch die nächste, quasi sofort folgende Bahn abzuwarten. Aber hej, nach der dritten vollen Bahn hat man irgendwann keinen Bock mehr. Und wenn ihr euch schon trotzig und regelwidrig in eine Bahn reindrängelt, dann doch bitte so, daß die Trittstufen freibleiben. Sonst kann das großstädtische Wunderding nämlich nicht weiterfahren. Anders in richtigen Großstädten, wo einem angesichts erbarmungslos zuknallender Verkehrsmitteltüren auch schonmal das ein oder andere Körperteil verlustig gehen kann, da werdet ihr in Bielefeld natürlich nicht gerade auf den rechten Lernpfad gebracht. Nein, an den Steuerknüppeln der sogenannten Stadtbahn sitzen ja auch Ostwestfalen, und die warten dann auch mal fünf Minuten an der Haltestelle Staufenbergstraße, bis sich die letzte Tür geschlossen hat, anstatt von der vorhandenen Durchsagenverstärkungseinheit Gebrauch zu machen und den trittbrettbeschwerenden Schwerenöter ordentlich anzuniesen. Ach, Ostwestfalen! Deine Metropole ist so dermaßen unmetropolig, daß es Metropoliten manchmal nicht ganz leicht haben mit dir.

Also: nicht immer einfach stehenbleiben, nur weil sich gerade etwas unerhörtes begeben hat: das Mensaessen wird jeden Tag im Glaskasten ausgestellt! Hinten in der Bahn ist noch ganz viel Platz, sogar Sitzplatz! Andere Leute haben diese Rolltreppe auch überlebt! Andere Leute wollen diesen Hörsaal auch verlassen! Es gibt auf der Welt, ganz real, auch in Bielefeld, auch in euerm direkten, körperlichen Umfeld, andere Leute, die realer existieren, als es jeglicher Sozialismus je geschafft hat! Und selbst ihr solltet wissen: wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein.

Es kann natürlich sein, daß ihr gar nicht so spitz aufn Großstadtstatus seid. Aber dann könnt ihr doch diese Dörfer einfach wieder ausgemeinden, und dann paßts wieder. Wer braucht schon Theesen oder Jöllenbeck? Ich nicht. Mein Bielefeld ist nicht viel größer als Friedrichshain, und eigentlich reicht mir das auch ;-)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

zum glück weder metropolis noch metropoliten ...
;-)

sehr treffender beitrag; ich habe sehr gelacht. alles wahr.

man könnte noch ergänzen, dass - obwohl bielefelderInnen sonst verhältnismäßig gut auto fahren - sie eine schäbige angewohnheit haben: nämlich kreuzungen immer randvoll zu fahren.
was nun auch ganz gut mit den hier beschriebenen gesamtphänomen korrespondiert...