Samstag, 27. Oktober 2007

Jetzt aber mal wieder zur Sache

Das von der Lerngruppe geburtstäglich überreichte neueste Werk unseres hochgeschätzten Professors für Physiologische Psychologie "Tatort Gehirn" habe ich schon fast ausgelesen (und muß es grad zugunsten von Damasios "Descartes' Irrtum" liegenlassen). Drüber reden kann ich aber schon!

Hauptthese des Werks ist die vehemente Rede wider den freien Willen, vor allem in Bezug auf Kriminelle, Gewalttäter und anderweitig delinquente Personen. Nach HJM seien Läsionen und funktionelle Störungen auf Hirnebene, vor allem im Stirnhirn, für Gewalttaten und andere kriminelle Handlungen verantwortlich, da die Täter sich in der entsprechenden Situation eben nicht frei entscheiden können, ob sie nun kriminell handeln sollen oder nicht. Was erstmal nach einer billigen Ausrede klingt (die auch mit schöner Regelmäßigkeit Reaktionen provoziert wie: Da könnte ja jeder kommen und sich mit seinem kranken Hirn oder seiner schlimmen Kindheit rausreden"), wird erstens (vermutlich - ich habe die Studien natürlich nicht überprüft, die herangezogen werden...) fundiert anhand allerlei interessanter Untersuchungen an verurteilten und sogar unverurteilten, da bislang nicht erwischten Straftätern, dargelegt. Zweitens zieht HJM den Schluß, daß die Verwundungen und Verletzungen in der Kindheit neuroanatomische und neurochemische Korrelate auf Hirnebene haben und daher auch auf das Verhalten im Erwachsenenalter einwirken. Das ist quasi Psychoanalyse, nur ohne den Sexualquatsch und dafür mit nachvollziehbaren, weil beobachtbaren strukturellen und funktionellen Änderungen.

Obwohl es im Buch immer wieder zu ziemlich unwissenschaftlichen, reißerischen Äußerungen kommt und einige Implikationen von HJM aus verschiedenen Gründen unpraktikabel, unvorstellbar und unsinnig erscheinen, ist das Buch trotzdem sehr empfehlenswert. Stellenweise liest sich der Text wie ein flammendes Plädoyer für günstigere Umwelteinflüsse der Kinder und Jugendlichen, um delinquente Entwicklungen quasi schon im Ansatz ersticken zu können - da scheint echtes Herzblut drinzustecken. Das hat mich ein bißchen überrascht. Direkt anfeuernd war die Vorlesung ja eher nicht.

Wer sich jetzt beschwert, daß das ja wohl eine bescheuerte Buchbesprechung sei, der soll das Buch einfach selber lesen. Ich habe keine Lust, das hier nachzuerzählen. Es hat mich jedenfalls nachhaltig beeindruckt, insofern es auch hirnebenig meine Privatüberzeugung untermauert, daß niemand zum Verbecher geboren wird, aber gleichwohl eine entsprechende Umwelt delinquentes Verhalten dergestalt determinieren kann, daß man sich die Fragen nach individueller Schuld neu stellen muß.

Aufgrund der sehr niedlichen und persönlichen Anmerkung der schenkenden Lerngruppe kann ich das Buch leider nicht verborgen. Aber es ist dennoch sehr lesenswert! Also trotzdem lesen!

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