Sonntag, 4. März 2007

Im März wars

Wie ich beim Spazieren übers vollmondlich beschienene Feld feststellte, hat meine Kindheit im März 1990 ein jähes Ende genommen. Erst ist mein Opa gestorben, und dann wurde zum ersten und letzten Mal die Volkskammer in sogenannten freien und geheimen usw. Wahlen gewählt. Tatsächlich wurden schlecht getarnte Ableger der entsprechenden Westparteien gewählt, und zwar interessanterweise diejenigen, die die abwegigsten Wahlversprechen abgegeben hatten. Ich sach nur: Hier werden blühende Landschaften entstehen! Und damit waren nicht die Biotope gemeint, die sich jetzt auf so manchem ehemaligen VEB-Gelände tummeln. Oder vielleicht doch? Jedenfalls gab es dieses berühmte Bild von de Maziére und Kohl, und bitter stößt daran auf, daß alles, aber auch wirklich alles so gekommen ist, wie man mit einem halbwegs gesunden Menschenverstand damals einfach vorhersehen mußte. Die dicke, gutgenährte, mächtige BRD, und diese kleine, verzweifelt um Souveränität ringende, aber leider von Wohlwollen abhängige DDR. Mit den Wahlen ging es sehr plötzlich nicht mehr um Bürgerrechte, Reise- und Meinungsfreiheit, Demokratie, sondern um D-Mark, Wirtschaftsunion, wir-wollen-auch-wer-sein.
Über Nacht gilt nichts mehr - was immer einem von Lehrern und Eltern erzählt wurde, geriet ins Wanken, wurde offensichtlich ungültig, hatte möglicherweise noch nie gestimmt. Und es hatte niemand einen Ersatz parat. Es gab diese allgemein gültige Wahrheit nicht mehr. Es gab auch nicht mehr das ideale, korrekte erwünschte Verhalten. Als Kind ist man da ganz schön auf sich gestellt. Ich vermute, daß man sich damals, in meinem Fall mit zwölf Jahren, für eine Art von Wahrheit entschieden hat, und die bleibt einem dann. Die meisten meiner grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Überzeugungen sind in jener Zeit entstanden und haben sich seither inhaltlich entwickelt, aber grundsätzlich kaum verändert. Die wichtigste Erkenntnis von 1989/1990 wäre vielleicht: Traue niemals deinem Land! Morgen hat es sich möglicherweise schon verpißt. Das könnte eine Erklärung für meine anhaltende Fahnenschwenk-Abstinenz sein. Nicht einmal der WM-Taumel konnte mir die Fahne oder die Hymne näherbringen, obgleich ich immerhin für die deutsche Mannschaft gewesen bin. Und (obwohl ich tatsächlich froh bin, daß ich mein persönliches Widerstandspotential nicht mehr in der DDR austesten mußte) - haben sich die DDR-Bürger bei der Wahl 1990 nicht ordentlich vom Goldenen Westen blenden lassen? Und was haben sie nun davon? Erst seit kurzer Zeit haben es sich die sogenannten Leitmedien abgewöhnt, von den Neuen Bundesländern zu sprechen. Sämtliche aufschlußreichen Statistiken werden nicht nur nach Männlein und Weibchen, sondern auch nach alten und neuen Bundesländern getrennt aufgeführt. Man dreht idiosynkratische Filme über den Osten. Wenn man den Leuten vor 17 Jahren (sic!) gesagt hätte, daß "Aufbau OST" 2007 nicht nur nach wie vor Thema sein wird, sondern vor allem auch offensichtlich absolut unnütz - hätten sie dann auch die schnelle D-Mark, die Währungs- und Sozialunion, den Instant-Anschluß gewählt? Hätten wir nicht Armut, Perspektivlosigkeit, Deindustrialisierung alleine geschafft, ohne die Demütigung?
"Hätte..." sind nutzlose Fragen. Aber ich denk eben dran, weil es in bestimmten Gruppenstrukturen die Tendenz gibt, trotz vorhandener Informationen über die entsprechenden Folgen die schlechteren der möglichen Entscheidungen zu treffen. Das ist im März 1990 offensichtlich geschehen.

2 Kommentare:

niesen hat gesagt…

Yes!

Zuerst verlesen:

"[...], und dann wurde ICH zum ersten und letzten Mal die Volkskammer in sogenannten freien und geheimen usw. Wahlen gewählt."

Da war ich dann ja doch erstmal verwundert.

Aber ich glaube auch bei der Ankündigung: In 17 Jahren geht's vielen von Euch scheißer!, hätte die Masse dennoch danach gelechzt, sich mit Videorekorder, Opel Astra und Marlboro zu versorgen. Ich war als Wessi 90 und 91 in Thüringen, weil die Familie meines Kindergartenfreundes (damals natürlich nicht mehr Kindergarten, aber seitdem kannte ich ihn halt...) Wilhelm Enteignetes zurück zugesprochen bekam und dann mal besuchen wollte. Beim zweiten Besuch dann tätigte Wilhelm eine Aussage, die er mit einem Ausdruck zwischen verschämt und wütend raushaute: "Letztes Jahr waren wir hier noch mit unserem alten Fiat die Könige."

Der Mensch scheint leider nicht zum Kindbleiben geboren.

papa hat gesagt…

Was wäre denn gewesen, wenn die Mehrheit fagegen gestimmt hätten? Die Wessis hätten sich trotzdem auf alles verwertbare gestürzt und ihr vermeintliches Eigentum wiederverlangt. Die Unternehmer hätte sich sowieso breit gemacht, denn auch die "anderen" Politiker hätten ihnen aus der Hand gefressen. Wir sind von einem maroden und korrupten System das einfach am Ende war in ein nicht viel anders gelagertes System konvertiert. Genauso korrupt und was dieses System Demokratie nennt, hat ja wohl mit dem eigentlcihem Sinn dieses Wortes auch nicht mehr viel zu tun.
Und wieviel Dinge tun die Menschen wo sie hinterher sagen, das hät' ich doch eigentlich Wissen müssen, dass es schief geht. Aus meinem Leben könnte ich da unendlich viele kleine und große Dinge berichten. Intelligenz und Wissen bedeutet noch lange nicht Können. Und Hoffen ist da auch noch eine Variable, die nicht zu unterschätzen ist.