Montag, 8. Januar 2007

Hartz IV - Meile

So nannte nicht ich, sondern wer anders den Weg vom Bahnhof durch die Innenstadt zum Alten Markt. Nicht ganz korrekt wahrscheinlich - denn die Leute, die da im doppelten Sinne am Rande stehen, bemühen sich vielleicht nicht mal mehr um ihr ALG II, sondern gucken, daß sie ein paar Pfandflaschen sammeln und ein bißchen Kleingeld in ihren Becher kriegen können. Als ich am Donnerstag nach der Arbeit zur Straßenbahn ging, kam ich im strömenden Regen an einem gerade schließenden Laden vorbei, in dessen Eingangsbereich sich diese erschütternd alte Frau mit ihren Habseligkeitstüten untergebracht hatte. Diese offensichtlich obdachlose Frau sieht man häufig in der Umgebung des Jahnplatzes. Ein Wachmann, oder was er nun war von diesem Laden, forderte sie auf, da zu verschwinden. Er hatte ein Funkgerät in der Hand und sagte immer wieder, "Ich muß Sie jetzt aber auffordern, weiterzugehen." Sie zeigte immerzu auf den Regen und das schmale Dach, unter dem sie eine fragwürdige Zuflucht gefunden hatte. Der Laden schloß gerade - niemand, dem sie da im Weg saß.
Als ich heute - sonntags - da durchspazierte, sah ich einige Bettler. Als Berliner ist man da ja einiges gewöhnt: die fünfhundert Meter von der Straßen- zur S-Bahn an der Warschauer Straße können einem lang werden vor lauter Nein, Nein, Nein - vor allem, wenn man nicht schroff abweisend sein UND sich gleichzeitig vor ungefragten Gratisabos verschiedener konkurrierender Tageszeitungen schützen möchte. Aber hier ist das was anderes: wirklich arme, abgerissene Gesellen, die offensichtlich seit Tagen nur Flüssignahrung zu sich genommen haben und von der vorbeiflanierenden Bevölkerung absolut nichts mehr erwarten - außer vielleicht ein paar Groschen, von denen sie den nächsten teuren Flachmann am Bahnhof kaufen. Und es ist sonntags ein wahrlich hoffnungsloses Unterfangen: die Läden sind geschlossen; es gehen nicht besonders viele Menschen durch die Fußgängerhölle, und sie denken nicht daran, irgendwem ein paar Groschen zu geben - ich ja auch nicht. Zuletzt habe ich in Berlin ein paar Tage lang jedem, der mich gefragt hat, einen Öre gegeben; ich habe nicht Buch drüber geführt, aber ich meine, daß es so zehn waren. Zehn Mann, zehn Öre. Das ist ja nicht viel, aber es hat aus mir keinen besseren Menschen gemacht, und aus den "reich beschenkten" sicher auch nicht.
Ja, wahrscheinlich haben sich beide Seiten der Hartz-IV-Meile mit ihrer Rolle abgefunden - die einen geben besser nichts, ehe sie sich hinterfragen müssen, warum sie dem freundlich-witzigen Schwätzer was gegeben haben und dem stinkenden, abgerissenen noch ausgewichen sind; die anderen zählen im Geiste die Pennies zusammen, die noch fehlen zum Glück, und verachten die Flaneure mit ihren untergehakten Mädchen und angeleinten Hunden.
Insofern ist die Diskussion vom kritischen Konsum mal wieder ein Luxusproblem. Die linke Bazille kauft korrekt fair gehandelten Öko-Espresso und weicht auf der Hartz-IV-Meile einschlägigen Gestalten aus.

2 Kommentare:

niesen hat gesagt…

Juchu! Ich weiß, wer das gesagt hat. Allerdings dachte ich, dass diese Äußerung, als sie in meinem Beisein getätigt wurde, spontan gewesen sei. Offenbar war sie es nicht, denn sonst wäre sie nicht mehrfach getätigt worden.

Zu dem eigentlichen Problem: Heißt es immer noch Groschen?

"Beide Seiten der Hartz IV - Meile" klingt nach mehr...

sonne hat gesagt…

Ja, manchmal wird man von den Zeitgenossen eben überrascht... Möglicherweise ist auch aus einem spontanen Einfall eine feststehende Redewendung geworden - passiert mir auch immer wieder.

Klar heißt das noch Groschen! Wie denn sonst?