Montag, 26. November 2007

Blindflug & Gesang



Nachts mit dem ICE durch das Land zu fahren. Draußen ist es nicht einfach dunkel. Draußen ist nichts. Es gibt kein Draußen, nur Lichter, die hin und wieder über die schwarze Scheibe huschen, in der sich unscharf mein müdes Gesicht spiegelt. Warum eigentlich Flugangst? Wie irrational. Das hier ist doch das gleiche wie fliegen. Der Zug legt sich bisweilen in Kurven, rüttelt beim Überqueren von Weichen, schwankt, und mit ihm schaukelt meine Jacke hin und her. Im Flugzeug hätte ich bereits die Hand des eventuell Mitreisenden zerquetscht, im Zug arbeite ich mich durch eine dicht- und prallgefüllte GALORE (Ben Becker, Die Ärzte, Maria Schrader, der eine von den Foo Fighters usw.), gähne gelegentlich, höre Musik (noch zehn Lieder bis Spandau! Und sie kommen: ten years ago von Tegan & Sara, I miss you von blink-182, overload von den Cardigans, Julika von Pola, kreuzberg von Bloc party, writer's block von Just Jack, why does it always rain on me von Travis usw.) und denke, ausgerechnet, an Citys "Am Fenster" wegen der Zeile "Flieg ich durch die Welt" und weil die Emotionalität (man könnte auch Kitsch sagen) des Songs grad paßt. Mit erheblicher Verspätung schwebte ich dann ein. Wenn der Zug sich in diese letzte Kurve vor dem Hauptbahnhof legt, verliebe ich mich stets neu in meine Heimatstadt. Alles liegt vor einem: die Neubauten des Spreebogens, die Charité, das Forumhotel und der Fernsehturm, und der wunderbar angestrahlte, leuchtende Bahnhof, die Spree und alles.
Am Ostbahnhof dann Blumen, ins Auto, heim. Keine Müdigkeit der Welt kann durchgequatschte, verrauchte, endlose Nächte verhindern. Musik, natürlich, zuerst selbstgemacht, später Konserve. Das ist unsere Sprache, nicht die einzige, aber doch wichtig. Ich bin hier, es ist gut, hierzusein, es ist gut, und du weißt das. Eine neue d-Saite, und die E-Gitarre kann losgehen. Coole Sache, das. Und singen! Ich kanns ja nicht, aber dann doch. Oder es ist einfach egal, ob es gut klingt - es fühlt sich einfach gut an.


Zeit vertrödeln, hurtige Spaziergänge durch klirrende Berliner Luft, Kumpanen treffen. Sonnabendabend im Übereck am Ostkreuz: eine lustige Zusammenballung Bielefelder Studierender. "Ist ja lustig, drei Ostwestfalen und ein... ääh... Ost..." war ja mal der Satz des Abends. Dann wieder kalt, Kurzstrecke, Kaskelkiez und Küche.

Am Ewigkeitssonntag begleitete ich den Prediger zum Gottesdienst in der Einrichtung. Diese Magie der Liturgie! Inhaltlich ist da ja für mich nichts zu holen, aber dieser festgefügte und doch nie gleiche Ablauf, die Sicherheit des Rituals faszinierten mich wieder aufs Neue. Der Einrichtungsleiter hat eine unprätentiöse, ungeschwafelte Predigt gehalten. Bis auf ein schwieriges, dodekaphonisch anmutendes Liedchen konnte ich fein mitsingen, und überhaupt war mir alles so vertraut, von früher her, als wenn ich jede Woche in die Kirche ginge. Ich bin nicht gläubig, und doch erdet es mich.

Ab morgen hat mich der Alltag wieder. Und doch ist das hier auch Alltag, oder es wird welcher. Er entwickelt sich. Die Sprache, der Umgang, das Lesen von nonverbalen Signalen, die Vertrautheit, das Schweigen.

Ausschlafen müßte ich mal. Gründlich.

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